Ein Jubiläum – eigentlich ein willkommener Grund zum Feiern. Nicht so beim Ökosozialen Forum Niederalteich. Zum 25-jährigen Bestehen richten sich die Protagonisten mit einem Manifest an die Öffentlichkeit – denn von gesetzten Zielen ist man weit entfernt.
Das Ökosoziale Forum Niederalteich, kurz ÖSFN, wurde 1994 als Ideenschmiede aus der Taufe gehoben. „Ich war vorher schon in Bauernverbandsgremien und im politischen Bereich tätig und habe da immer ein Defizit festgestellt: Dass die Denkweise der Verantwortlichen zu kurzsichtig, zu wenig in Zusammenhängen und zu wenig vom Gemeinwohl getragen ist. Deshalb habe ich mir gedacht, dass wir ein Gremium, eine Art Denkwerkstatt brauchen, um nach vorne zu schauen und in Generationen zu denken“, erinnert sich Mitbegründer Sepp Rottenaicher zurück. Aus dieser Vision entstand mit dem ÖSFN ein „Netzwerk der Hoffnung“, in dem sich Persönlichkeiten aus der Agrarpolitik, ‑verwaltung, ‑wissenschaft, Theologie, Philosophie, Erwachsenenbildung und der landwirtschaftlichen Praxis zusammengefunden haben. Sie stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, das ÖKSF ist zudem Teil einer europaweiten Bewegung sowie der Initiative des „Global Marshall-Plans“. Angesiedelt ist es seit jeher an der Landvolkshochschule in Niederalteich. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Bücher, Symposien, Stellungnahmen und Weckrufe zu den Themen, die den Mitgliedern des ÖSFN ganz besonders unter den Nägeln brennen, veröffentlicht. Nun, 25 Jahre nach der Gründung, haben sie ein Manifest ausgearbeitet, mit dem sie kurz und nüchtern Bilanz ziehen, aber zugleich den Blick auf zukunftsfähige, schöpfungsgerechte und enkelverträgliche Wege in Landwirtschaft, Agrarpolitik, ländlichen Räume, Wirtschaft und der Gesellschaft richten.
Das Manifest umfasst insgesamt zehn Punkte, die Sepp Rottenaicher gemeinsam mit Josef Holzbauer, der auch als Umweltbeauftragter der Diözese Passau wichtige Impulse in das ÖSFN einbringt, sowie Annette Plank, Agrar- und Bildungsreferentin an der Landvolkshochschule, präsentierten. Der erste Punkt legt dar, warum es aus Sicht der Mitglieder des Ökosozialen Forums keinen Grund zum Feiern gibt. Zur Gründung 1994 habe man sich folgende Ziele gesetzt: Die vielfältige bäuerliche Landwirtschaft als bedeutendes Kulturgut Europas sichern, die ländlichen Räume als lebens- und liebenswerte Heimat gestalten, die Nachhaltigkeit in allen Bereichen wirtschaftlichen Handelns verankern sowie das richtige Gleichgewicht zwischen Marktwirtschaft, sozialer Fairness und ökologischer Verantwortung herstellen. „Wenn wir auf die heutige Situation schauen, stellen wir aber fest: Das Höfesterben geht drastisch weiter. Die Vielfalt der ländlichen Räume nimmt ab. Die Spezialisierung der Landwirtschaft bedingt, dass ländliche Räume anders aussehen. Mit der großstrukturierten Landwirtschaft wurden ökologische Probleme geschaffen“, schilderte Holzbauer. Die ehrliche Bilanz nach 25 Jahren falle dementsprechend nüchtern aus. Im Folgenden greift das Manifest unterschiedliche ökologische und soziale Leitplanken auf. Unter anderem wird betont, dass die Natur kein unendliches Wachstum und auch kein Verschwinden kenne. Naturfremde Stoffverbindungen, die in den Naturkreislauf eingebracht werden, würden sich zumindest in Spuren in irgendeiner Form in Boden, Wasser, Luft, Pflanze, Tier und letztlich im Menschen wiederfinden. Als Beispiel führte Sepp Rottenaicher das Pestizidmittel Glyphosat an. „Was nicht in uns drin sein soll, darf vorher nicht in den Naturkreislauf gebracht werden“, folgerte Rottenaicher. Das Manifest schildert zudem, dass die Art, wie derzeit produziert, konsumiert und sich über den Erdball bewegt wird, nicht nachhaltig und zukunftsfähig sei. „Das Artensterben ist lebensbedrohlich“ lautet die Überschrift eines weiteren Punktes. Die Liste der bedrohten Tier- und Pflanzenarten werde immer länger. „Wenn die Lebensräume für unsere pflanzlichen und tierischen Mitgeschöpfte enger werden, dann wird das naturgemäß auch für uns Menschen so sein“, stellte Rottenaicher klar. Die weiteren Punkte beschäftigen sich schließlich ganz besonders intensiv mit der Landwirtschaft. Das Manifest hebt hervor, dass die Bauern Geschädigte und zugleich Mitverursacher von Klimaerhitzung, Wasserbelastung und Artenschwund seien. Ausführlich wird geschildert, welchen Traum die Protagonisten des ÖSFN für bäuerliche Familienbetriebe der nächsten oder übernächsten Generationen haben. Unter anderem heißt es: „Wir erwarten, dass die Bauern wieder Basis der regionalen Versorgung sind, stolz auf ihren Beruf sind und die Bevölkerung stolz auf ‚ihre‘ Bauern ist.“ Nachhaltig wirtschaftende Bauern müssten durch Rahmenbedingungen, Gesellschaft und Staat geschützt werden, um einen angstfreien Umstieg zu ermöglichen, so eine weitere Vision der Manifest-Schreiber für das Jahr 2050. Zentral ist auch die Feststellung, dass sich ein „Weiter so“ verbiete. Der Schlüssel für eine gedeihliche Entwicklung in eine zukunftsfähige, schöpfungsgerechte und enkelverträgliche Zukunft sei die Agrarpolitik in Land, Bund und vor allem in der EU. „Das der Weltklimagipfel kürzlich zum widerholten Male an einzelstaatlichen Interessen gescheitert ist, ist eine Katastrophe“, stellte Josef Holzbauer in diesem Zusammenhang fest.
„Als Ökosoziales Forum Niederalteich wollen wir auch in Zukunft Stachel und Korrektiv für zukunftsgerechte Wege in Landwirtschaft und ländlichen Räumen sein sowie zu schöpfungsgerechten Wegen ermutigen“, betonte Sepp Rottenaicher abschließend. Das Manifest selbst endet mit einem Zitat aus der Umwelt-Enzyklika „Laudato si‘“ von Papst Franziskus: „Gehen wir singend voran! Mögen unsere Kämpfe und unsere Sorgen um diesen Planeten nicht die Freude und Hoffnung nehmen.“
Text und Foto: Mareen Maier