
Franz Jägerstätter lebte Ende des 2. Weltkrieges im oberösterreichischen St. Radegund. Er folgte seinem Gewissen, verweigerte den Kriegsdienst und bezahlte dafür mit seinem Leben. Der Linzer Bischof Dr. Manfred Scheuer war diözesaner Postulator im Seligsprechungsprozess von Franz Jägerstätter. Im Interview erzählt er von dem Märtyrer.
Dem eigenen Gewissen folgen
Franz Jägerstätter — ein Glaubenszeuge für Heute? Der Linzer Bischof Dr. Manfred Scheuer gilt als Experte beim Thema Franz Jägerstetter, er war auch diözesaner Postulator im Seligsprechungsprozess des Märtyrers. Wir hatten Gelegenheit mit ihm zu sprechen. (Ein geplanter Vortrag von ihm im Haus der Begegnung Heilig Geist in Burghausen am 27. Mai musste laut Veranstalter abgesagt werden.)
Franz Jägerstätter sah es als Gnade an, den Weg des Gewissens konsequent gehen zu können. Seine Entscheidung traf er aus einer inneren Beziehung zu Gott.
Sehr geehrter Herr Bischof Scheuer. Wie konnte Franz Jägerstätter diesen entschiedenen Weg gehen?
“Der Weg des Glaubens bzw. der Weg zum Martyrium war bei Jägerstätter nicht die Gerade einer Autobahn. Er hatte seine Erfahrungen in glaubensfernen Milieus der Arbeiterschaft. Da wurde ihm klar, dass diese Wege im Hinblick auf Sinn und Glück zu kurz greifen. Das schreibt er einem Patensohn 1932. – Eine klare Neuorientierung bracht die Ehe mit Franziska Schwaninger, die sicher zuerst die religiös aktivere war. Die Ausrichtung an der Heiligen Schrift und das sakramentale Leben – Jägerstätter war als Mesner täglich bei der Messe – führten ihm klar vor Augen, dass es einer Entscheidung bedarf: Entweder Katholik oder Nationalsozialist. Ein Traum im Jahre 1938 kurz vor dem Einmarsch der Nazis machte ihm nochmals deutlich: Dieser Zug – gemeint waren die Nationalsozialisten – fährt in die Hölle, in den Abgrund.”
Franz Jägerstätter erfuhr viel Anfeindung und dadurch Einsamkeit – wobei er den Leuten im Grunde einen Spiegel vorgehalten hat, oder?
“Jägerstätter war kein Besserwisser und auch nicht moralisch arrogant. Er hat sich auseinandergesetzt mit den Fragen der Familie, mit dem Heimatpfarrer Karobath: der meinte, Jägerstätter hätte sie immer geschlagen mit Argumenten aus der Bibel. Und er ist zum Kapitelvikar, Weihbischof Fließer gegangen. Das Gespräch hat ihn traurig hinterlassen, weil er den Eindruck hatte, dass auch der Bischof Angst vor den Nazis hat. Ja: Franz Jägerstätter ist der einsame Zeuge des Gewissens. Seine Frau ist zu ihm gestanden und hat ihn auch noch vor der Hinrichtung in Berlin Tegel besucht. Sein tiefer Glaube hat ihm die Menschenfurcht genommen, der Briefkontakt mit seiner Frau ist ein kostbares Zeugnis für eheliche Liebe und Treue.”
Glaubenskraft war auch seiner Frau gegeben – sie hielt beständig zu ihrem Mann, wobei ihr Los kein leichtes war als Mutter und dann Witwe?
“Am 7. Hochzeitstag schreibt Franz Jägerstätter rückblickend aus dem Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Linz an seine Frau Franziska über das Glück und die Gnaden, die an ein Wunder grenzen. Die Ehe ist für die Jägerstätters ein Beweis der Liebe Gottes und auch ein Beweis für die Existenz Gottes. Beide Eheleute stärken sich wechselseitig im Glauben. – Franz Jägerstätter wurde mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er mit seiner Entscheidung der Wehrdienstverweigerung seine Frau verraten und seine Kinder im Stich gelassen hat. Und Franziska muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie verantwortlich für den Weg ihres Mannes ist. Erst nach vielen Jahren bekam sie öffentliche Unterstützung wie es bei den Kriegerwitwen selbstverständlich war. Die Anerkennung für Franziska hat noch Jahrzehnte gedauert.”
Hier können Sie das Radiointerview in voller Länge anhören:
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Franz Jägerstätter – kann er ein Vorbild für heute sein? Was kann er uns in der heutigen Zeit sagen?
“Jägerstätter kann Wegbegleiter und Orientierungshilfe sein in schwieriger Zeit. Er ist es als Vertrauter und Freund, als Vorbild im Glauben, als Wegbereiter der Nachfolge, als Anwalt des Gewissens, als Zeuge der Wahrheit, als Gerechter in einer ungerechten Zeit, als einer, der sich in die Opfer hineingefühlt hat in einer Gesellschaft, die den Willen zur Macht und die Verachtung der Schwachen vergötzt hat, als einer, der die Gabe zur Unterscheidung der Geister hatte. Hoffnungsträger, Orientierungshilfe, Zeuge und Vorbild ist er in vielfacher Hinsicht, als gläubiger Mensch, als Mann des Gewissens, als Anwalt des Friedens und der Gewaltfreiheit, als Ehemann und Familienvater, als Zeitdiagnostiker.”
Welche Botschaft sollen die Gäste des Vortrags mit nach Hause nehmen?
“Zivilcourage ist nicht angeboren, sondern muss erlernt werden. Und „man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben. Dazu brauchen wir einen harten Geist und ein weiches Herz. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur suchen wir sie zu wenig.“ (Sophie Scholl)
Und: Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit. Die menschliche Geschichte entwickelt sich nicht von selbst in Richtung einer größeren Gerechtigkeit. Die Botschaft Jesu vom Gericht Gottes stellt in Aussicht, dass die Sehnsucht des Menschen nach einer letzten und endgültigen Gerechtigkeit keine leere Hoffnung bleibt. Dies ist eine Frohbotschaft insbesondere für alle Benachteiligten und An-Rand-Gedrängten, aber auch für jene, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen und oft auf verlorenem Posten kämpfen.
Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und den vielen Opfern ist Ihnen ein besonderes Anliegen. Hierzu haben Sie auch ein Buch verfasst. Warum ist ihnen das Thema ein Herzensanliegen?
„Für alle Vergessenen seit Weltzeit bist du der Gedenkende.“ So ist für das Judentum das Gedächtnis zentral. Israel erfährt: ER, bei dem keine Vergangenheit verloren ist, kann je gegenwärtig angerufen werden, und dies auch von demjenigen, dem die eigene Vergangenheit völlig fremd geworden ist. In diesem Begegnen und Erinnern findet Israel die Kontinuität seines Lebens und die Identität seiner Geschichte. Die Geschichte des treuen Gottes wird in Ps 135,13 angesprochen: „Herr, dein Name währt ewiglich und dein Gedächtnis von Geschlecht zu Geschlecht.“ Gott – der Gedenkende ist der, der die Trümmer der Vergangenheit zusammenfügen kann, der die Verlorenen heimholt, die Kaputten lebendig macht, die Tränen trocknet, den Toten Hoffnung gibt, die Leiden der Geschichte heilt, die Vergessenen, die Opfer aufrichtet.”
Vielen Dank für das Interview!
(Interviewtext und Audio mit freundlicher Unterstützung der Pressestelle der Diözese Linz)