Pilger beten um Frieden als das Werk der Gerechtigkeit
Fünf Jahre nach der Hochphase der sogenannten Flüchtlingskrise in Deutschland hat Generalvikar Josef Ederer wieder die Predigt gehalten bei der Friedenswallfahrt von Jägerwirth nach Heiligenbrunn, deren Leitmotiv diesmal lautete: „Friede ist das Werk der Gerechtigkeit.“ Umso eindringlicher rief das Mitglied des Passauer Domkapitels dazu auf, mehr Empathie gegen der Situation von Geflüchteten und Migranten zu zeigen. Seine Botschaft: „Gott will Gerechtigkeit, und er will auch unsere Mitarbeit und unseren Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden.“
Viele der rund 150 Teilnehmer an der Wallfahrt waren von den Worten des Generalvikars so beeindruckt, dass sie am Ende seiner Predigt spontan Beifall klatschten. Ederer hatte eingangs daran erinnert, dass am 20. September 2015 das Thema dieser traditionellen Veranstaltung die Sehnsucht der Menschen nach Frieden, nach „Shalom“, nach Frieden und Heil in einem umfassenden ganzheitlichen Sinn, gewesen sei. Er habe damals von einem jungen irakischen Flüchtling erzählt, dessen Vater ermordet, dessen Familie bedroht und dessen Zuhause angezündet worden war, so dass er für sich keine Zukunft mehr in seiner Heimat sah und sich auf den Weg nach Europa machte.
Ederer verwies auf die damals von ihm gestellte Frage, was die Menschen hier dazu bewegen würde, die Heimat zu verlassen und zu fliehen, sich mit einem Schlauchboot aufs Meer zu begeben, wo schon Zehntausende ertrunken sind, oder sich zu Fuß auf einen tausende Kilometer langen Weg dorthin zu machen, wo fast alle signalisierten, „wir wollen dich nicht.“ Die Antwort lieferte der Prediger sogleich mit: „Es braucht großen Leidensdruck.“ Und/oder es benötige große Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit, Freude, gelingendes Leben, auf ein Leben in Fülle, betonte der Generalvikar, der „Flüchtlinge“ immer noch als bedrängendes Thema skizzierte.
Neben den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer sei das brennende Flüchtlingslager Moria zum Symbol geworden, hob Ederer hervor und fragte in die Runde, wie man hier mit Menschen umgehe, die alle Brücken hinter sich abbrechen, ihr Leben riskieren, ja vielleicht sogar ihre letzte, eigentlich auch schon menschenunwürdige Behausung abbrennen, um eine Aufnahme in Europa gleichsam zu erzwingen. „Regelmäßig kommt es zu nahezu ausweglosen Dilemma-Situationen“, gab der Priester zu bedenken und verwies auf die Odyssee vieler vor dem Ertrinken Geretteter, basierend auf dem regelmäßig zu beobachtenden würdelosen „Geschachere“. Denn, so Ederer: „Keiner will sie.“
Kritisch beleuchtete der Vertreter der Diözese Passau das Argument „Wir wollen keine Sogwirkung“. Es führe in keine gute Zukunft – weder menschlich noch christlich, mahnte der Stellvertreter des Bischofs und zeigte sich dankbar für die Bereitschaft Deutschlands, doch zu helfen, „weil dies letztlich die einzige menschliche und christliche Antwort ist.“ Er wertete diesen wenn auch nicht ganz freiwilligen Schritt als „Hoffnungsschimmer inmitten nationalistischer Egoisten“, die nur sich und ihr Land sehen, die sich oft weltoffen und international geben, aber provinziell denken. „Sie haben zwar momentan in vielen Ländern Hochkonjunktur, aber sie haben letztlich keine Zukunft“, sagte Ederer.
Vielleicht lernten die Menschen aus der Corona-Pandemie und der Klimakrise nun doch endlich, „dass wir alle auf einer Welt leben und dass Lösungen für die Zukunft globale Lösungen sein müssen“, bekundete der Generalvikar. Er sprach sich für ein globales Wertesystem aus, nach dem die Weltgemeinschaft in hoher Übereinstimmung handeln müsse. „Die Frage eines inneren Koordinatensystems, das immer auch eng mit Religion zusammenhängen wird, wird eine der wichtigsten Zukunftsfragen sein“, prognostizierte Ederer und verband damit den Appell, sich zur gleichen Würde aller Menschen in der Realität zu bekennen. Es könne nicht so bleiben, dass die einen nicht wissen, wohin mit ihrem Überfluss, während die anderen darben, hungern, dahinvegetieren und vielerorts buchstäblich elendig krepieren.
„Wenn wir in dieser Gerechtigkeitsfrage nicht weiterkommen, dann werden wir auch in den anderen Fragen, wie zum Beispiel Klima und Flüchtlinge, nicht weiterkommen“, mahnte Ederer. Hinter Migrationsströmen stand nach seinen Worten immer das Streben nach besseren Lebenschancen, „also ein zutiefst menschliches Streben.“ Wenn man wolle, dass Menschen in ihrer Heimat bleiben, was sicher auch die allermeisten Flüchtlinge von innen her wollten, dann müsse man sich für bessere Lebenschancen dort einsetzen – beispielsweise durch faire Preise für Rohstoffe und Produkte aus deren Herkunftsländern, durch Verzicht auf Ausbeutungsstrukturen, durch Förderung von Bildung und Entwicklung vor Ort.
Ederer plädierte für die Beteiligung an Gesprächen und politischer Meinungsbildung, wenn es zum Beispiel um Flüchtlinge und Migrationsgründe gehe, bis hin zur Entwicklung einer ganz konkreten Lebenshaltung für mehr Gerechtigkeit, auch mit der Bereitschaft zum Verzicht und zum Teilen. Das fange schon beim täglichen Einkauf an, wenn man auf Herkunft und Produktionsbedingungen achte und statt dem billigsten das fairste Produkt wähle. „Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden“, zitierte der Prediger aus der Verheißung Jesu, um dessen Geist, Kraft und Beistand er zum Gebet aufrief.
„Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden”
Das Gottesdienst-Team der Pfarrei Jägerwirth hatte die Friedenswallfahrt wieder umsichtig und mit viel Kreativität vorbereitet, wofür sich Pfarrer Christian Böck bei allen Mitwirkenden – auch den Sandbacher Bläsern für den festlichen musikalischen Rahmen – herzlich bedankte. Der Geistliche hatte eingangs ebenfalls das gewählte Motto „Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit“ aus dem Buch Jesaia in den Mittelpunkt gestellt. Je mehr Ungerechtigkeit es auf der Welt gebe, umso fragiler und brüchiger werde der Frieden, rief Böck den Zuhörern an der kleinen feinen Pilgerstätte am Rande des Neuburger Waldes zu und trug das Evangelium nach Matthäus aus der Bergpredigt vor, in der es heißt: „Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.“
Die Kollekte war für ein Waisenhaus-Projekt von Pater Joseph Amalraj aus Südindien, Mitglied des Fürstenzeller Seelsorge-Teams, in dessen Heimat bestimmt – laut Pfarrer Böck „für die Ärmsten der Armen und die Verlassenen“. Das abschließende Wechselgebet mündete immer wieder in den Kehrvers mit dem Wunsch der Betenden, „Herr, mach mich zu einem Werkzeug Deines Friedens“. Dr. Josef Hechberger, Pfarrgemeinderatsvorsitzender in Jägerwirth, legte am Ende den Gläubigen den Sinn des kleinen Taschensegens von Jesuitenpater Thomas Gertler SJ ans Herz, der es ermögliche, in der Handfläche mit dem Daumen ein Kreuz zu zeichnen und so Mitmenschen zu segnen – anstatt aus Wut, Enttäuschung oder Beleidigtsein die Hand zur Faust zu ballen. Den Merkzettel dazu und einen kleinen Rosenkranz durften die Teilnehmer zur Erinnerung mitnehmen.
Foto und Text: Bernhard Brunner