Der Gebetstag für Betroffene sexuellen Missbrauchs will bewusst Zeichen setzen: für die Anerkennung des Leids und für die Solidarität mit den Betroffenen. Die Skulptur „Ausschau und Lichtblick“ von Andreas Kuhnlein gab der berührenden Andacht in Passau den Rahmen vor.
Darauf achten, was viele nicht sehen wollen, die Geschichte von Betroffenen hören, Anteil nehmen an ihrem Schmerz und ihrer Einsamkeit, von der Verantwortung sprechen, aber auch über Hilfe und Auswege aus der Not – das Gebet zum diesjährigen Gedenktag fasste die Anliegen dieser Pontifikalandacht am Sonntagabend im Haus Spectrum Kirche auf Mariahilf zusammen. Und gemeinsam brachten in diesem Gebet auch alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Andacht ihre Hoffnung zum Ausdruck: „Du, unser Gott, gib uns Kraft und Mut!“ Ein Symbol der Hoffnung ist auch die Figur „Ausschau und Lichtblick“, die der Künstler Andreas Kuhnlein aus Unterwössen für diese Andacht zur Verfügung gestellt hat. Sie zeigt eine schwangere Frau, eine Frau in guter Hoffnung, wie Siegfried Lang, der Sprecher des Betroffenenbeirats, in seiner Einführung erklärte. „Wird sich das Kind ohne Probleme entwickeln? Wird das Kind beruflich, familiär und gesellschaftlich erfolgreich sein? Wird es sein Lebensglück finden?“
Für Kinder bzw. mittlerweile Erwachsene, die körperlichen, sexuellen oder auch spirituellen Missbrauch erdulden mussten, könnten diese fundamentalen Lebensfragen nicht mit einem uneingeschränkten Ja beantwortet werden, machte Lang deutlich. Bezogen auf die Situation in der Aufarbeitung des Missbrauchsgeschehens in der katholischen Kirche stehe Kuhnleins Skulptur für den Blick in die Zukunft. Auf dem Weg dahin sieht Lang durchaus Erfolge, aber auch noch so manche Fragezeichen. Er nannte in dem Zusammenhang die den Missbrauch betreffenden Themen wie Klerikalismus, zölibatäre Lebensform für Priester, Stellung von Frauen in der Kirche, finanzielle Anerkennungsleistung für Betroffene mit missbrauchsbedingt extrem erschwerten Lebenssituationen oder Lebensverläufen. In eindringlichen Worten brachte Lang zum Ausdruck, was seiner Ansicht nach Kuhnleins Figur den Verantwortlichen der Kirche mitgeben würde: „Nicht die Ausübung pastoraler Macht soll euer Handeln bestimmen. Vergesst nicht eure pastorale Verantwortung! Geht zu den Mitmenschen im Auftrag Jesu Christi, begleitet sie, unterstützt sie, steht ihnen mit Rat und Tat zur Seite, helft ihnen, wo immer sie Hilfe brauchen.“
Auf der anderen Seite sollten die von Missbrauch Betroffenen versuchen, „trotz aller Traumatisierung den Weg des Verzeihens zu finden und zu gehen, damit sich verlorenes Vertrauen wieder aufbauen lässt“. Lang ging auch auf die jüngste Papst-Enzyklika „Dilexit nos“ („Er hat uns geliebt“) ein. Franziskus fordert darin eine Rückkehr zu einer „Zivilisation der Liebe“ in „einer Welt, die ihr Herz verloren zu haben scheint“. Für alle Verantwortlichen und Beteiligten in der Missbrauchsaufarbeitung sei dies ein fundamentaler Auftrag.
„eine Atombombe ins Herz der Kirche”
Auch Bischof Stefan Oster ließ sich in seiner Predigt von der Kuhnlein-Skulptur inspirieren. Die Figur einer Schwangeren „hält Ausschau, wagt einen Ausblick nach vorne und trägt in sich – so könnte man deuten – den Lichtblick, der dem Ausblick schon Richtung gibt“. Oster ließ keinen Zweifel, dass die Kirche mit dem Missbrauchsgeschehen, mit den Folgen und der Sorge um „Safe spaces“ nie zu einem Ende kommen werde. „Wir müssen dran bleiben – um der Menschen willen.“ Die Betroffenen hätten an dem Leid, das ihnen von Menschen der Kirche zugefügt wurde, oft ein Leben lang zu tragen. Das Ausmaß des Leids sei eine „Atombombe ins Herz der Kirche“, denn die Kirche lebe vom Vertrauen glaubender Menschen, und dieses Vertrauen habe riesigen Schaden erlitten. „Mitten in dem Ort, den Menschen mit Kirche identifizieren, ist unfassliches Leid zugefügt worden, sind Menschen verraten und missbraucht worden“, so der Passauer Bischof.
Die Predigt zum Nachhören:
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Doch Kirche sei viel tiefer als ihre momentane Erscheinungsform. Im Innersten sei und bleibe sie der Ort, an dem die Menschen Jesus begegnen können. „Er bleibt, Er ist der Treue. Er ist die Hoffnung auf das Leben, auf das neue, das größere Leben. Er ist die Hoffnung der Welt und ausnahmslos die Hoffnung für jeden Menschen“, sagte Oster. Von Kuhnleins Skulptur schlug er schließlich einen Bogen zur schwangeren Gestalt der Mutter des Herrn. Sie sage uns: „Ja, die Kirche ist verbeult, sie hat Vertrauen verspielt, sie ist eine Institution, in der es auch Verbrechen und das Böse gibt. Aber sie ist tiefer und zuerst der Ankunftsort und Wohnort Gottes in der Welt.“ In den Fürbitten brachten Frauen und Männer der Aufarbeitungskommission, des Betroffenenbeirats und der Prävention Trauer, Leid und die Hoffnung zum Ausdruck, dass man gemeinsam einen Weg findet, um die Vergangenheit aufzuarbeiten und schließlich Frieden zu finden.
„Ja, die Kirche ist verbeult, sie hat Vertrauen verspielt, sie ist eine Institution, in der es auch Verbrechen und das Böse gibt. Aber sie ist tiefer und zuerst der Ankunftsort und Wohnort Gottes in der Welt.”
Musikalisch höchst eindrucksvoll gestaltet wurde die Andacht von Domkapellmeister Andreas Unterguggenberger gemeinsam mit einem Frauenstimmenensemble. Im Anschluss lud Bischof Stefan Oster alle Beteiligten zum Gespräch ins Foyer von Spectrum Kirche.
Text und Fotos: Wolfgang Krinninger