
„Man ist in einem absoluten Schockzustand. Man ist absolut leer. In einer Ohnmacht gefangen. Unfähig, irgendeinen Gedanken zu fassen.“ So beschreibt Birgit Seidler das Gefühl, nachdem ihr Sohn tot zur Welt gekommen ist. Nach einer Schwangerschaft ohne Komplikationen war alles bereit für die Geburt, als die Ärzte ihr und ihrem Mann mitteilten, man könne keine Herztöne mehr feststellen. In diesem Moment stellte sich ihre Welt auf den Kopf.
Schicksale wie dieses will die Frauenseelsorge zusammen mit dem KDFB Diözesanverband Passau von 22. März bis 11. April im Rahmen ihres „Heils- und Leidenswegs für Frauen“ an die Menschen herantragen. Die offizielle Eröffnung des Kreuzwegs findet am 26. März in Form einer liturgischen Feier statt. An sieben frei zugänglichen Kreuzweg-Stationen in der Kirche in Niedernburg sollen mit Fotos von Kunstinstallationen der Künstlerin Monika Brenner und passenden Texten Lebens- und Leidensgeschichten von Frauen erzählt werden. Behandelt werden dabei Themen wie Einsamkeit, Brustkrebs, häusliche Gewalt und Verlusterfahrungen.
Birgit Seidlers Verlust beeinflusst sämtliche Bereiche ihres Lebens. Auch heute noch, 18 Jahre nach der Totgeburt. Sie selbst hatte besonders anfangs mit der Frage nach dem Warum zu kämpfen: „Warum passiert das uns? Warum passiert das meinem Kind?“ Als Frau und Mutter gab sie sich zudem selbst die Schuld. Sie hatte das Gefühl, gescheitert zu sein. „Mein Kind ist in mir gestorben und ich habe es nicht gemerkt. Ich habe versagt als Mutter“, so ihre Gedanken. Nicht nur ihr allein, auch ihrer Ehe verlangt der Schicksalsschlag einiges ab. „Wir werden immer noch auf die Probe gestellt“, betont Seidler. Gerade in der Zeit direkt nach der Geburt mussten sowohl sie als auch ihr Mann lernen und akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich trauern. Natürlich habe sie als Frau es in sich anders erlebt als ihr Mann, erklärt sie. Wichtig sei es jedoch, viel darüber zu reden und den anderen reden und denken zu lassen.
Wie unterschiedlich Menschen und besonders Frauen mit schwierigen Lebenssituationen umgehen, erlebt auch Birgit Czippek, Leiterin des Besuchsdienstes des Frauenbundes, bei Besuchen in Senioren- und Pflegeeinrichtungen. Die Menschen, die den Besuchsdienst in Anspruch nehmen, haben im Moment besonders mit den Auswirkungen der Coronapandemie zu kämpfen. Die Besuchsdienstleistenden können ihnen jedoch aktuell nur eingeschränkt helfen und ihnen per Telefon oder mit Briefen Gesellschaft leisten. Birgit Czippek erklärt, die Bewohner der Einrichtungen seien meist Teil der Kriegsgeneration. In ihnen komme in der aktuellen Situation die Angst, die sie früher schon einmal gespürt haben, wieder an die Oberfläche. Hinzu kommt die Einsamkeit, die viele mitunter wegen des ausbleibenden persönlichen Kontakts und der fehlenden Berührungen spüren. Doch auch hier kommen die einen besser, die anderen schlechter mit der Situation zurecht. „Manche Frauen in dieser Generation sind heute auch ganz hart geworden“, erklärt Czippek.
Hier der Radiobeitrag zum Thema:
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Birgit Seidler hat nach ihrem Schicksalsschlag besonders der Austausch darüber geholfen. Und auch Birgit Czippek kann bestätigen, dass in einer schweren Situation das Gespräch mit anderen heilsam sein kann. In der Gesellschaft sind Leidenswege von Frauen wie etwa Einsamkeit oder Totgeburten jedoch nach wie vor tabuisiert. Seidler hat in ihrem Umfeld gemischte Reaktionen erlebt. Während sie viel Zuspruch erhielt und mitunter sogar neue Freundschaften entstanden, gingen andere Beziehungen zu Ende. Einige Reaktionen verletzten sie. Wenn Menschen die Straßenseite wechselten, um einem Gespräch mit ihr aus dem Weg zu gehen, fühlte sie sich „als würde es mir auf der Stirn stehen: Achtung Totgeburt!“. Manche sagten ihr, das wäre alles gleich wieder vorbei. „Der Bauch ist weg, das Kind ist nicht da. Es ist, als wäre nichts gewesen“, erzählt Seidler von den Auffassungen anderer.
Der „Heils- und Leidensweg für Frauen“ kann nun, besonders für die Betroffenen, eine Möglichkeit sein, das Tabu zu brechen. Indem Leidenswege zugänglich gemacht werden und es den Besuchern des Kreuzwegs ermöglicht wird, die Geschichten in ihren Alltag mitzunehmen, zeigt sich, was auch Birgit Seidler irgendwann bewusst wurde: „Es kann jeder Frau passieren.“ Birgit Czippek glaubt und hofft, die verschiedenen Stationen werden Betroffenheit hervorrufen und zum Nachdenken anregen, auch über eigene Erlebnisse. Solidarität unter Frauen sei es, was gebraucht wird, so Seidler.
Egal welches Leid Frauen erlebt haben, eines konnte Birgit Czippek feststellen: „Sie sind nicht gescheitert an ihren Schicksalen.“ Und auch Birgit Seidler war es von Anfang an wichtig, nicht verbittert zu werden. Sie will anderen Betroffenen helfen und ihnen sagen, dass sie den Einschnitt in ihrem Leben überstehen können. Wenn einem auch die Unbeschwertheit ein Stück weit genommen wird: „Man kann’s überleben. Und man lebt auch gut weiter. Man ist wieder glücklich.“