
Kann man heute noch Gott erfahren, ihm unmittelbar begegnen, und wenn ja, wie ist das möglich? Diesen Fragen widmet sich an acht Abenden die neue Vortreihe „Heute Gott erfahren“ in Spectrum Kirche, dem Exerzitien- und Bildungshaus auf Mariahilf. Den Auftakt machte am Dienstag, 14. Februar Frau Professorin Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz mit einem Grundlagenreferat: „Gott ist Liebe,“ eine Aussage, der nicht wenige, die von Leid und Not bedrängt sind, misstrauen.
Im Laufe des zweistündigen Abends dechiffrierte die Referentin tiefschürfend den Hintergrund der Identifikation von Gott und Liebe.
Die Joseph-Ratzinger-Preisträgerin ging bei ihren Überlegungen von der religiösen Vorstellungswelt der Antike aus. „Die Götter lieben die Menschen nicht“, so die Referentin und die Menschen leben in Angst vor den Göttern, die sie durch Opfer zu kompensieren versuchen. Sie zitierte den Beginn der Josefsgeschichte aus der Feder von Thomas Mann: „In der Tiefe des Brunnens liegt Angst vor den Göttern“. Diese Vorstellung wandelt sich erstmals im Volk Israel, wo der Vielgötterglauben zum Glauben an Adonai mutiert und sich neben die Angst erstmals Vertrauen stellt. Die Aura des einen Gottes bleibt sakrosankt, weshalb der Hohepriester nur einmal im Jahr angebunden das Allerheiligste des Tempels betreten darf, doch die Macht des Einen wird nun durch Gerechtigkeit und Erbarmen bestimmt. Im Gegensatz zum Volk Isarel ist dieser eine Gott treu und wahr, obwohl Isarel immer wieder den Vertragsbund bricht.

In einem nächsten Gedankenschritt untersuchte die Religionsphilosophin die biblischen Begriffe für Liebe: Dodim, gleichsam die Liebe und Ahaba. Am Beispiel des alttestamentlichen Hohenliedes der Liebe erläuterte sie den letztgesannten Begriff. Ahaba, im neuen Testament Agape, ist die Liebe, die in ihrer Liebeskraft nicht mehr zurückweichen kann, die sich um der Liebe zum Geliebeten willen sogar verprügeln lässt, wie die Braut im Hohenleid. Sie zitierte Bernhard von Clairvaux mit den Worten: „Gott ist die Frau, die nach uns schreibt, rennt, nach uns verlangt, uns nachläuft, die bis zur Bloßstellung geht und sich sogar für uns verprügeln lässt, die uns wäscht und dabei selbst schmutzig wird.“ „Das Wasser, das andere wäscht, wird selbst trübe“, so Gerl-Falkovitz. Das ist keine Liebelei, kenen Tändelei, sondern Liebe, die gemäß Paulus alles gibt, die in Christus gar zur Sünde und zum Fluch wird (2 Kor 5,21). Sie zitierte das Johannesvangelium: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für uns hingab, damit jeder, der an ihn glaubt das ewige Leben hat“ (Joh 3,16).
Gott brauche keine Opfer der Menschen, zähle nicht die Blutstropfen seines Sohnes, vielmehr gibt er sich in Christus selbst. Die Referentin bezeichnete dies als ungeheure „Selbstver-schwendung Gottes“, als „Liebe, deren Tiefe wir nicht verstehen“, und fragte, warum wir Menschen diese extreme Zuneigung Gottes so wenig verspüren. Diesem Gedanken wurde in der anschließenden regen Diskussion nochmals intensiv nachgegangen, dabei spielte auch die Generalfrage, wie man Gott heute begegnen, ihn erleben könne, eine wichtige Rolle. Msgr. Dr. Bernhard Kirchgessner machte die zahlreichen Besucher darauf aufmerksam, dass genau dies, die „Weegmarken zru Gottesbegegnung“ an den folgenden sieben Abenden von verschiedenen Blickwinkeln aus thematisiert werde und lud zum Folgetermin „Achtsamkeit-Entschleunigung-Selbsterkenntnis“ für 14. März ein.
Text: Domvikar Msgr. Dr. Kirchgessner