
An der Küste von Lesbos fährt Günther Jäger, Diakon im Pfarrverband Feichten entlang. Griechische Musik, klarer Himmel, blaues Meer, das zum Baden einlädt – Urlaubsstimmung könnte aufkommen, auf dem Video, dass er nach Hause sendet. „Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf’s Meer“, sagt er. Täglich kommen dort Boote aus der Türkei an – Flüchtlinge aus Somalia, Kongo oder Afghanistan mit an Bord. Außentemperatur: tagsüber etwa fünf Grad, in der Nacht auch Minustemperaturen, das Meer ist aufgewühlt, starker Wind und Wellen treiben ein Boot ans Ufer, lässt es auflaufen, Menschen sterben, werden vermisst. Die Leichen begraben Freiwillige auf dem „Friedhof der Namenlosen“.
Oberbuch/Lesbos. Diejenigen die es ins offizielle Camp schaffen, wissen nicht wie lange sie bleiben müssen. Derzeit leben in Kara Tepe 2600 Menschen, etwa 1000 mehr als noch im November. Günther Jäger ist seit zwei Jahren einer derjenigen, die versuchen ihnen den Aufenthalt erträglicher zu machen. Es wird spezielles Essen an Menschen verteilt, die das offizielle Essen, mit Brot, etwas Käse, Reis, Nudeln oder Kartoffeln, in der Qualität eher dürftig, nicht vertragen. “Home for all”, so seine Organisation, mit der er täglich Essen kocht und ins Lager bringt, die inzwischen einen Gemüseanbau aufgebaut hat, von der die täglichen Gerichte gekocht werden. Aber auch eine Organisation, eine von den etwa vier verbliebenen in der Region, die sich um die Menschen kümmern.
Dabei ist auch Rayana und Milad, ein afghanisches Ehepaar (Namen wurden auf Wunsch geändert), dass im Oktober des letzten Jahres auf der griechischen Insel nach dreijähriger Flucht gestrandet ist. Jäger hat die beiden bei seinem letzten Besuch im November kennengelernt. Rayana war schwanger und sie wurde mit Umstandskleidung versorgt. Im Januar, als Jäger wieder auf die Insel zurückkehrte, stand die Geburt an – ein Kaiserschnitt. Doch ihr zweites Kind, ein Junge, tut sich schwer mit dem Start ins Leben und muss vom kleinen Krankenhaus in Mytilini nach Athen gebracht werden. In Mytilini ist man für Kinder, wie Ali es ist, nicht gerüstet. Doch die Mutter darf nicht mit, muss nach wenigen Tagen Krankenhausaufenthalt wieder zurück ins Camp, geblieben ist ein Foto ihres Sohnes. Sie verordneten ihr Schmerzmittel, welches sie selbst in einer Apotheke abholen und auch bezahlen musste. Zwei Tage später bildete sich eine hühnereigroße Geschwulst an der Kaiserschnittnarbe, die große Schmerzen verursacht. Für ein Antibiotika wurde ein Rezept ausgestellt und Rayana wurde erneut nach Hause geschickt. Die Kosten dafür hat „Home for all“ übernommen, berichtet Jäger. „Dem kleinen Ali geht es nicht gut, er hat weiter an Gewicht verloren. Es soll eine Therapie mit Muttermilch begonnen werden“, so Jäger. Doch dafür müsste die Mutter nach Athen reisen und sich eine Unterkunft suchen. Schlafen darf sie nicht neben ihrem Kind. Wenn sie Unterschlupf in einem Athener Camp finden, dürfen sie nicht mehr nach Lesbos zurück. „Sie wollen aber auf der Insel bleiben, nicht nach Deutschland oder woanders hin, wenn sie hier Arbeit finden“, erzählt Jäger.

Im Landwirtschaftsprojekt stehen die Chancen auf einen Arbeitsplatz gut und auch die Bezahlung des monatlichen Lohns in Höhe von 860 Euro ist über „Support International“, die zweite Organisation für die Jäger arbeitet, für das nächste halbe Jahr gesichert. Doch die Reise nach Athen ist teuer und auch eine Privatunterkunft. „Ich will alles versuchen, dass das Baby gesund wird, und die Familie bald zusammen in Lesbos leben kann. Das erste Kind (8 Jahre) von Rayana lebt bei ihrem ersten Mann, einem Taliban in Afghanistan. Er hat sie schon mehrmals mit dem Tod bedroht, deshalb sei sie geflohen“, so Jäger traurig.
Abendliche Zusammenkünfte als Lichtblick
Doch gibt es auch die schönen Geschichten, die das Leben schreibt. Ein- bis zweimal pro Woche holt Jäger und seine Freunde Katarina und Nicos Flüchtlinge aus dem Camp zum gemeinsamen Essen. „Es gibt Lamm, das haben wir gekauft. Es reicht für 25 Personen. Es tun den Menschen so gut von uns als Gäste behandelt zu werden. Sie sitzen am großen Tisch, alle zusammen, Schwarze und Weiße, Muslime und Christen, Jung und Alt, eine große Gemeinschaft. Sie werden von uns bedient, erhalten ein wunderbares Essen, das sie sonst nie bekommen und können essen so viel sie wollen“, so Jäger glücklich. Es wird mit den Erwachsenen ein Turmbauspiel gespielt und mit den Kindern Kicker. Wenn es wieder warm ist, werden sie ins „Home Village“ gebracht. Dort können die Kinder herumtollen, mit den Schafen, Ziegen, Eseln, Katzen und Hunden spielen, die Eltern können sich ausruhen oder in der Landwirtschaft mithelfen und damit sich selbst mit frischem und biologischem Gemüse versorgen. „Nikos und Katerina, die Gründer von „Home for All“ haben einen guten Blick, wer es wirklich nötig hat, mal raus zu kommen“, berichtet er.

Landwirtschaftliche Projekte auf Lesbos
Es gibt viel Arbeit: die jungen Olivenbäume müssen regelmäßig kultiviert und die kleinen Bäche, die seit über 20 Jahr überwuchert und verwachsen sind, freigelegt werden. Ein großer Teich und ein Kartoffelacker sind in Planung. „Wir hoffen das wir pro Ernte etwa fünf Tonnen ernten können. Wir benötigen zehn Tonnen Kartoffeln pro Jahr“, so Jäger. Für die Verarbeitung der Oliven soll in eine eigene Vermahl- und Zentrifugieranlage mit Kosten von 25.000 Euro investiert werden. Damit entstehen weitere Arbeitsplätze für Flüchtlinge.
Erzbischof Josif Printesis hat sich erneut ein Bild von der Arbeit gemacht. Er war zum Valentinstag auf der Insel. „Er war fasziniert, wie sich die Landwirtschaft innerhalb eines Jahres entwickelt hat.“
Zwischen Lesbos und Oberbuch
Für Diakon Günther Jäger sind die Reisen, die er nach Lesbos unternimmt weit mehr als Urlaub, sie sind zur Herzensangelegenheit des 67-jährigen geworden. „Die Hinreise ist mit freudiger Spannung verbunden. Die Menschen zu sehen, die leider schon seit Jahren dort leben. Es gibt so viel zu tun. Natürlich fahre ich auch gerne wieder nach Hause zu meiner Frau Uschi, den Kindern und Enkelkindern. Ich habe aber auch da bereits wieder meine nächste Reise zurück im Kopf. Ich merke schon deutlich, dass man mich auf Lesbos braucht. Deshalb habe ich zuhause regelmäßig Videokonferenzen mit Katerina und Nikos, die für mich zu lieben Freunden geworden sind. Wenn ich auf Lesbos bin, fehlt schon auch der Pfarrverband und meine Arbeit dort.“ Auf die Frage, ob ihm das Gebet und der Glaube reicht, angesichts der vielen Schicksale, antwortet er: „Ohne meinen festen Glauben wäre ich wahrscheinlich nicht hier oder zumindest nicht lange. Das tägliche Stundengebet ist meine Tankstelle. Aber auch immer wieder zwischendurch – im Lager, im Auto, unterwegs – ein Gespräch mit Gott – kurz aber intensiv.“ Das schlimmste für ihn ist auszuwählen, wem man helfe und wer Hilfe nicht so dringend braucht, oder wem man nicht mehr helfen kann. Nicht nur die finanziellen Mittel seien begrenzt, sondern auch seine physischen und psychischen Kräfte.
„Meine Devise ist: Wegschauen gilt nicht, aber triff Entscheidungen, die du verantworten kannst vor – dir und vor Gott.”
Weiter, so sagt er: “Wenn ich für Menschen in Not da sein möchte, dann auch nachhaltig. Es ist großartig Menschen in Not Zeit zu schenken, ihnen Würde zu geben und ihnen zu sagen, dass sie nicht alleine sind. Wir sind doch alle eine große Familie.“
Ein weiteres Mitglied einer afghanischen Familie leidet, so der nächste Anruf, den er auf seinem Smartphone entgegennimmt. Eine Seniorin muss mitsamt der sechsköpfen Familie zur Fähre. Es soll nach Athen gehen um Dokumente zu besorgen. Doch die Frau hatte einen Knochenbruch erlitten, der mit einer Haltevorrichtung, einem Fixateur externe, in Position gehalten wird. Das schmerzt, ist jedoch nicht so wichtig, wie das Besorgen der notwendigen Asylpapiere. Mit dem Transporter geht es zum Hafen – auch dafür ist „Home for all“ mit Günther Jäger da.
Text: Christine Limmer
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