Soziales

Hilfsprojekt „Home for all“ für Geflüchtete auf Lesbos

Redaktion am 28.02.2023

Josif Printesis_Lesbos pbp
Erzbischof Josif Printesis, zuständig für einen Teil der griechischen Inseln hat „Home for all“ besucht (1. v. rechts). Mit dabei Katerina und Nikos, die „Home for all“ und „Home Village“ gegründet haben (1. Und 2. Von li )

An der Küste von Lesbos fährt Günther Jäger, Diakon im Pfarrverband Feichten entlang. Griechische Musik, klarer Himmel, blaues Meer, das zum Baden einlädt – Urlaubsstimmung könnte aufkommen, auf dem Video, dass er nach Hause sendet. „Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf’s Meer“, sagt er. Täglich kommen dort Boote aus der Türkei an – Flüchtlinge aus Somalia, Kongo oder Afghanistan mit an Bord. Außentemperatur: tagsüber etwa fünf Grad, in der Nacht auch Minustemperaturen, das Meer ist aufgewühlt, starker Wind und Wellen treiben ein Boot ans Ufer, lässt es auflaufen, Menschen sterben, werden vermisst. Die Leichen begraben Freiwillige auf dem „Friedhof der Namenlosen“.

Oberbuch/​Lesbos. Die­je­ni­gen die es ins offi­zi­el­le Camp schaf­fen, wis­sen nicht wie lan­ge sie blei­ben müs­sen. Der­zeit leben in Kara Tepe 2600 Men­schen, etwa 1000 mehr als noch im Novem­ber. Gün­ther Jäger ist seit zwei Jah­ren einer der­je­ni­gen, die ver­su­chen ihnen den Auf­ent­halt erträg­li­cher zu machen. Es wird spe­zi­el­les Essen an Men­schen ver­teilt, die das offi­zi­el­le Essen, mit Brot, etwas Käse, Reis, Nudeln oder Kar­tof­feln, in der Qua­li­tät eher dürf­tig, nicht ver­tra­gen. Home for all”, so sei­ne Orga­ni­sa­ti­on, mit der er täg­lich Essen kocht und ins Lager bringt, die inzwi­schen einen Gemü­se­an­bau auf­ge­baut hat, von der die täg­li­chen Gerich­te gekocht wer­den. Aber auch eine Orga­ni­sa­ti­on, eine von den etwa vier ver­blie­be­nen in der Regi­on, die sich um die Men­schen kümmern.

Dabei ist auch Raya­na und Milad, ein afgha­ni­sches Ehe­paar (Namen wur­den auf Wunsch geän­dert), dass im Okto­ber des letz­ten Jah­res auf der grie­chi­schen Insel nach drei­jäh­ri­ger Flucht gestran­det ist. Jäger hat die bei­den bei sei­nem letz­ten Besuch im Novem­ber ken­nen­ge­lernt. Raya­na war schwan­ger und sie wur­de mit Umstands­klei­dung ver­sorgt. Im Janu­ar, als Jäger wie­der auf die Insel zurück­kehr­te, stand die Geburt an – ein Kai­ser­schnitt. Doch ihr zwei­tes Kind, ein Jun­ge, tut sich schwer mit dem Start ins Leben und muss vom klei­nen Kran­ken­haus in Myti­li­ni nach Athen gebracht wer­den. In Myti­li­ni ist man für Kin­der, wie Ali es ist, nicht gerüs­tet. Doch die Mut­ter darf nicht mit, muss nach weni­gen Tagen Kran­ken­haus­auf­ent­halt wie­der zurück ins Camp, geblie­ben ist ein Foto ihres Soh­nes. Sie ver­ord­ne­ten ihr Schmerz­mit­tel, wel­ches sie selbst in einer Apo­the­ke abho­len und auch bezah­len muss­te. Zwei Tage spä­ter bil­de­te sich eine hüh­ner­ei­gro­ße Geschwulst an der Kai­ser­schnitt­nar­be, die gro­ße Schmer­zen ver­ur­sacht. Für ein Anti­bio­ti­ka wur­de ein Rezept aus­ge­stellt und Raya­na wur­de erneut nach Hau­se geschickt. Die Kos­ten dafür hat Home for all“ über­nom­men, berich­tet Jäger. Dem klei­nen Ali geht es nicht gut, er hat wei­ter an Gewicht ver­lo­ren. Es soll eine The­ra­pie mit Mut­ter­milch begon­nen wer­den“, so Jäger. Doch dafür müss­te die Mut­ter nach Athen rei­sen und sich eine Unter­kunft suchen. Schla­fen darf sie nicht neben ihrem Kind. Wenn sie Unter­schlupf in einem Athe­ner Camp fin­den, dür­fen sie nicht mehr nach Les­bos zurück. Sie wol­len aber auf der Insel blei­ben, nicht nach Deutsch­land oder woan­ders hin, wenn sie hier Arbeit fin­den“, erzählt Jäger.

afg. Frau im Krankenhaus pbp
Rayana hat vor kurzem auf Lesbos ein Kind zur Welt gebracht – weil es krank ist, musste es in die ferne Klinik nach Athen

Im Land­wirt­schafts­pro­jekt ste­hen die Chan­cen auf einen Arbeits­platz gut und auch die Bezah­lung des monat­li­chen Lohns in Höhe von 860 Euro ist über Sup­port Inter­na­tio­nal“, die zwei­te Orga­ni­sa­ti­on für die Jäger arbei­tet, für das nächs­te hal­be Jahr gesi­chert. Doch die Rei­se nach Athen ist teu­er und auch eine Pri­vat­un­ter­kunft. Ich will alles ver­su­chen, dass das Baby gesund wird, und die Fami­lie bald zusam­men in Les­bos leben kann. Das ers­te Kind (8 Jah­re) von Raya­na lebt bei ihrem ers­ten Mann, einem Tali­ban in Afgha­ni­stan. Er hat sie schon mehr­mals mit dem Tod bedroht, des­halb sei sie geflo­hen“, so Jäger traurig.

Abendliche Zusammenkünfte als Lichtblick

Doch gibt es auch die schö­nen Geschich­ten, die das Leben schreibt. Ein- bis zwei­mal pro Woche holt Jäger und sei­ne Freun­de Kata­ri­na und Nicos Flücht­lin­ge aus dem Camp zum gemein­sa­men Essen. Es gibt Lamm, das haben wir gekauft. Es reicht für 25 Per­so­nen. Es tun den Men­schen so gut von uns als Gäs­te behan­delt zu wer­den. Sie sit­zen am gro­ßen Tisch, alle zusam­men, Schwar­ze und Wei­ße, Mus­li­me und Chris­ten, Jung und Alt, eine gro­ße Gemein­schaft. Sie wer­den von uns bedient, erhal­ten ein wun­der­ba­res Essen, das sie sonst nie bekom­men und kön­nen essen so viel sie wol­len“, so Jäger glück­lich. Es wird mit den Erwach­se­nen ein Turm­bau­spiel gespielt und mit den Kin­dern Kicker. Wenn es wie­der warm ist, wer­den sie ins Home Vil­la­ge“ gebracht. Dort kön­nen die Kin­der her­um­tol­len, mit den Scha­fen, Zie­gen, Eseln, Kat­zen und Hun­den spie­len, die Eltern kön­nen sich aus­ru­hen oder in der Land­wirt­schaft mit­hel­fen und damit sich selbst mit fri­schem und bio­lo­gi­schem Gemü­se ver­sor­gen. Nikos und Kate­ri­na, die Grün­der von Home for All“ haben einen guten Blick, wer es wirk­lich nötig hat, mal raus zu kom­men“, berich­tet er.

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Gemeinsam Feiern und Zeit verbringen – ein Ausweg aus dem Alltag.

Landwirtschaftliche Projekte auf Lesbos

Es gibt viel Arbeit: die jun­gen Oli­ven­bäu­me müs­sen regel­mä­ßig kul­ti­viert und die klei­nen Bäche, die seit über 20 Jahr über­wu­chert und ver­wach­sen sind, frei­ge­legt wer­den. Ein gro­ßer Teich und ein Kar­tof­fel­acker sind in Pla­nung. Wir hof­fen das wir pro Ern­te etwa fünf Ton­nen ern­ten kön­nen. Wir benö­ti­gen zehn Ton­nen Kar­tof­feln pro Jahr“, so Jäger. Für die Ver­ar­bei­tung der Oli­ven soll in eine eige­ne Ver­mahl- und Zen­tri­fu­gier­an­la­ge mit Kos­ten von 25.000 Euro inves­tiert wer­den. Damit ent­ste­hen wei­te­re Arbeits­plät­ze für Flücht­lin­ge.
Erz­bi­schof Josif Prin­te­sis hat sich erneut ein Bild von der Arbeit gemacht. Er war zum Valen­tins­tag auf der Insel. Er war fas­zi­niert, wie sich die Land­wirt­schaft inner­halb eines Jah­res ent­wi­ckelt hat.“

Zwischen Lesbos und Oberbuch

Für Dia­kon Gün­ther Jäger sind die Rei­sen, die er nach Les­bos unter­nimmt weit mehr als Urlaub, sie sind zur Her­zens­an­ge­le­gen­heit des 67-jäh­ri­gen gewor­den. Die Hin­rei­se ist mit freu­di­ger Span­nung ver­bun­den. Die Men­schen zu sehen, die lei­der schon seit Jah­ren dort leben. Es gibt so viel zu tun. Natür­lich fah­re ich auch ger­ne wie­der nach Hau­se zu mei­ner Frau Uschi, den Kin­dern und Enkel­kin­dern. Ich habe aber auch da bereits wie­der mei­ne nächs­te Rei­se zurück im Kopf. Ich mer­ke schon deut­lich, dass man mich auf Les­bos braucht. Des­halb habe ich zuhau­se regel­mä­ßig Video­kon­fe­ren­zen mit Kate­ri­na und Nikos, die für mich zu lie­ben Freun­den gewor­den sind. Wenn ich auf Les­bos bin, fehlt schon auch der Pfarr­ver­band und mei­ne Arbeit dort.“ Auf die Fra­ge, ob ihm das Gebet und der Glau­be reicht, ange­sichts der vie­len Schick­sa­le, ant­wor­tet er: Ohne mei­nen fes­ten Glau­ben wäre ich wahr­schein­lich nicht hier oder zumin­dest nicht lan­ge. Das täg­li­che Stun­den­ge­bet ist mei­ne Tank­stel­le. Aber auch immer wie­der zwi­schen­durch – im Lager, im Auto, unter­wegs – ein Gespräch mit Gott – kurz aber inten­siv.“ Das schlimms­te für ihn ist aus­zu­wäh­len, wem man hel­fe und wer Hil­fe nicht so drin­gend braucht, oder wem man nicht mehr hel­fen kann. Nicht nur die finan­zi­el­len Mit­tel sei­en begrenzt, son­dern auch sei­ne phy­si­schen und psy­chi­schen Kräfte.

Mei­ne Devi­se ist: Weg­schau­en gilt nicht, aber triff Ent­schei­dun­gen, die du ver­ant­wor­ten kannst vor – dir und vor Gott.”

Diakon Günther Jäger

Wei­ter, so sagt er: Wenn ich für Men­schen in Not da sein möch­te, dann auch nach­hal­tig. Es ist groß­ar­tig Men­schen in Not Zeit zu schen­ken, ihnen Wür­de zu geben und ihnen zu sagen, dass sie nicht allei­ne sind. Wir sind doch alle eine gro­ße Fami­lie.“
Ein wei­te­res Mit­glied einer afgha­ni­schen Fami­lie lei­det, so der nächs­te Anruf, den er auf sei­nem Smart­phone ent­ge­gen­nimmt. Eine Senio­rin muss mit­samt der sechs­köp­fen Fami­lie zur Fäh­re. Es soll nach Athen gehen um Doku­men­te zu besor­gen. Doch die Frau hat­te einen Kno­chen­bruch erlit­ten, der mit einer Hal­te­vor­rich­tung, einem Fix­a­teur exter­ne, in Posi­ti­on gehal­ten wird. Das schmerzt, ist jedoch nicht so wich­tig, wie das Besor­gen der not­wen­di­gen Asyl­pa­pie­re. Mit dem Trans­por­ter geht es zum Hafen – auch dafür ist Home for all“ mit Gün­ther Jäger da.

Text: Chris­ti­ne Limmer

Wenn Sie helfen wollen:

Sup­port Inter­na­tio­nal e.V.
Volks­bank Frei­burg
IBAN: DE32 6809 0000 0003 5025 11
BIC: GENODE61FR1

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