Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
in der vor uns liegenden Fastenzeit geht es oft um Essen und Trinken. Wir fragen uns, auf was wir verzichten können oder wie wir uns gesund ernähren können. Ich möchte diese Frage ausweiten und fragen: Was ist eigentlich für unsere Seele wichtig, oder für unsere innere Mitte, die die Bibel Herz nennt? Mit was ernähren wir uns geistig, was lassen wir jeden Tag in unsere Gedanken und Gefühle eindringen? Und was ist wirklich gesund für unser Herz? Und was ist ungesund?
Viele von uns nehmen zum Beispiel jeden Tag eine Fülle von Nachrichten und Bildern aus dem Internet auf – ich auch. Und wir erleben, welche Faszination von den unglaublichen Möglichkeiten des Internets ausgeht. Und zugleich spüren viele von uns auch, dass wir dabei verführbar sind für Ablenkung, für Oberflächlichkeit, für Bequemlichkeit. Vielleicht kennen Sie das auch, dass sich ein Gefühl der inneren Leere einstellt, wenn man einmal längere Zeit ohne konkretes Ziel durch die verschiedensten Internetseiten gesurft ist, oder auch: Wenn man sich mal eine längere Zeit durch verschiedene Fernsehkanäle hindurch geschaltet hat. Wenn sich dann ein solches Gefühl der Leere einstellt, signalisiert es uns vielleicht auch: Es war zu viel! Zu viel vergeudete Zeit. Hätte ich mal ein anständiges Buch gelesen oder in der Zwischenzeit meinem Partner bei der Hausarbeit geholfen oder etwas anderes Sinnvolles gemacht. Und dann kommt vielleicht auch das schlechte Gewissen dazu über die Inhalte, die man konsumiert hat und vielleicht auch über die eigene Trägheit.
Das schlechte Gewissen sagt uns: Es hätte auch anders laufen können. Aber wir sehen an diesem Beispiel: Es gibt hier einen inneren Zusammenhang zwischen unserer geistigen Welt und was wir in sie hineinlassen – und unserem aktiven Handeln. Zu viel Medienkonsum oder zu viele banale Inhalte machen träge im Handeln – nicht immer, aber oft. Und vermutlich gibt es in den meisten von uns beide Seiten: Die Neigung zur trägen Couchkartoffel zu werden, die sich gern berieseln lässt. Und andererseits der Wunsch, aktiv zu werden und die Welt ein wenig besser zu machen.
Und weil die Neigung zur Trägheit oder Oberflächlichkeit bleibend in uns da ist, braucht es immer auch ein wenig Überwindung, unser Herz mit guten Inhalten zu füllen. Es braucht etwas Überwindung und Disziplin, in die Stille zu gehen – und die Bibel in die Hand zu nehmen und zum Beispiel das Evangelium zum Sonntag zu lesen und darüber nachzudenken. Was sagt es mir und was sagt mir Gott durch das Evangelium für mein Leben?
Für meine Beziehungen, für meine Arbeit? Ein solcher Umgang mit dem Wort Gottes wird dann wie selbstverständlich zum Gebet, zum inneren Gespräch mit Gott.
Und hier zeigt sich für mich dann auch der innere Zusammenhang zwischen Gebet und Handeln. Es gibt ja unter uns Christen die einen, die sagen, wir müssen endlich mehr beten. Und die anderen sagen: Wir müssen uns doch zuerst einmal engagieren als Christen. Wir müssen handeln und nicht immer nur beten. Die Wahrheit liegt in der Mitte von beiden Haltungen oder besser, in der Tiefe. Gott schaut nämlich auf unser Herz. Und er sieht, dass ein Gebet, das am Ende nur um sich selbst kreist, kein wirkliches Gebet ist. Und er sieht, dass die vermeintlich gute Tat, am Ende gar nicht wirklich gut ist, wenn sie zuerst aus heimlichen egoistischen Interessen geschieht. Wir alle, liebe Schwestern und Brüder, brauchen deshalb immer neu eine Veränderung des Herzens, die Veränderung eines inneren Blickes auf die Welt.
Und dies geschieht, wenn wir unsere Seele mit guten Inhalten nähren und wenn wir im Vertrauen wachsen, dass wir wirklich geliebt sind. In unserem Gottesdienst kommt uns Jesus entgegen und schenkt uns seine Liebe. In der Bibel finden wir den Jesus, der uns liebt. In unseren stillen Zeiten dürfen wir vielleicht spüren lernen: Wir sind geborgen in Gott. Und im Anblick eines Menschen, der Not leidet, erkennen wir dann vielleicht auch: Auch dieser Mensch ist von Gott geliebt – und ich möchte, dass er es spürt. Und dann gehe ich hin und handle. Wenn wir aus dieser inneren Mitte leben lernen, wird unser Leben tief und heil – und voller Sinn.
Ich wünsche Ihnen deshalb in der vor uns liegenden Fastenzeit, dass Sie diesmal Ihrer Seele bewusst Gutes tun, dass Sie häufiger auf Banales verzichten; dass Sie sich überwinden und regelmäßig eine stille Zeit vor einem Kreuz oder einer Ikone verbringen, dass Sie sich vom Wort Gottes berühren lassen – und dass Sie dann auch immer wieder die Not der anderen sehen lernen – und hingehen und helfen. Gott segne Sie auf Ihrem Weg durch diese Zeit und schenke Ihnen dann auch eine gnadenreiche Erfahrung der Auferstehung unseres Herrn an Ostern.
Passau, 1. Fastensonntag 2020
Dr. Stefan Oster SDB
Bischof von Passau