Die vierte Synodalversammlung des Synodalen Weges in Deutschland ist am 10. September 2022 in Frankfurt zu Ende gegangen. Mit der Ablehnung des Grundtextes zur Sexualethik am ersten Sitzungstag waren grundlegende Differenzen auf dem Synodalen Weg noch mehr als bisher zutage getreten. Der Chefredakteur des Passauer Bistumsblattes, Wolfgang Krinninger, hat mit Bischof Dr. Stefan Oster SDB gesprochen.
Herr Bischof, für den außenstehenden Beobachter ging es bei der letzten Synodalversammlung hoch her. Zwischenzeitlich schien das Aus des Prozesses nahe. Wie haben Sie selbst die Tage in Frankfurt erlebt? Was ging in Ihnen vor?
Ich hatte mich ja schon im Vorfeld öffentlich kritisch mit Themen und Verfahren des Synodalen Weges auseinandergesetzt. Dass unsere Kirche Reformen braucht, ist unbestritten. Aber dass es auf diesem Weg gut geht, frage ich an – ohne damit sagen zu wollen, die besprochenen Themen seien nicht wichtig. Daher: Als einer, der offen kritisch ist, war ich natürlich in deutlicher Minderheit – und das lässt einen die Versammlung schon spüren. Emotional, atmosphärisch und verfahrenstechnisch. Daher: Wenn ich ehrlich bin, waren die Tage doch ziemlich anstrengend.
Was waren Ihre Ängste, Ihre Hoffnungen?
Ängste habe ich keine, Befürchtungen schon. So wie es jetzt aussieht, geht der Weg bei einigen Themen in die offene Konfrontation mit dem Lehramt – und in den Abschied von aus meiner Sicht wesentlichen Inhalten des christlichen Menschenbildes und Kirchenverständnisses. Meine Hoffnungen wären, dass wir die Einheit bewahren – auch wenn es so aussieht, dass die Differenzen in der Bischofskonferenz und unter den Gläubigen eher profilierter werden und das Gemeinsame immer weniger aufscheint.
„Dass unsere Kirche Reformen braucht, ist unbestritten. Aber dass es auf diesem Weg gut geht, frage ich an…”
In einem jüngst erschienenen Beitrag in der internationalen Zeitschrift für katholische Theologie „Communio“ haben Sie deutliche Kritik am Prozedere und der Atmosphäre der bisherigen Synodalversammlungen geäußert. Sehen Sie sich in dieser Kritik bestätigt? Und haben Sie in Frankfurt Resonanz auf Ihren Beitrag erhalten?
Ja, was „Synodalität“ angeht, so wie es Papst Franziskus eingebracht hat, sehe ich meine Kritik mehr als bestätigt. Es ging in Frankfurt nach meiner Wahrnehmung viel mehr um politische Prozesse, um Taktik, um Suche nach Allianzen als um ein gemeinsames Hören aufeinander. Und dabei waren auch noch sehr viel Emotionalität und Polemik im Spiel. Auf meinen Communio-Artikel habe ich viel Zustimmung bekommen. Und tatsächlich auch nach der Synodalversammlung von vielen Menschen, die sich bedankt haben.
Als das Grundsatzpapier zur Erneuerung der katholischen Sexualmoral durchgefallen war, flossen Tränen und Angehörige sexueller Minderheiten verließen unter Protest die Messehallen. Können Sie diese Reaktionen nachvollziehen? Was antworten Sie diesen Menschen?
Ja, natürlich kann ich das verstehen. Mich beschäftigen diese Fragen ja auch schon lange – auch im persönlichen Gespräch mit queeren Personen, wiederverheiratet-geschiedenen Personen und vielen anderen, die sich durch kirchliche Lehre ausgeschlossen fühlen. Und meine Erfahrung ist: Wenn ich nun z.B. über queere Menschen und die kirchliche Position dazu in einem allgemeinen Sinn sprechen würde, würde ich im Grunde immer missverstanden werden und verletzen. Es ist mir daher ein Grundanliegen geworden, Menschen persönlich kennenzulernen, einfach Hörender zu sein. In solchen oft tiefen Gesprächen lerne ich, was Menschen bewegt, was ihre Anliegen und Nöte sind und ihre Sicht auf die aktuelle Situation. Und ich kann für mich sagen, dass wir im Blick auf unsere Lehre deshalb auch Vertiefung brauchen und mehr Unterscheidung und den Blick auf den Einzelnen. Aber in wesentlichen Grundüberzeugungen glaube ich immer noch, dass die Kirche das Richtige lehrt.
Sie gehören zu den Bischöfen, die klar und offen vor Brüchen mit der überlieferten Lehre der Kirche warnen. Sehen Sie diese Brüche bereits in den bisher verabschiedeten Texten?
Ja, natürlich. Es wird ja in mindestens zwei Texten ausdrücklich eine Revision des Katechismus und des Kirchenrechts gefordert: Was vorher richtig war, soll jetzt falsch sein oder umgekehrt.
Nach Meinung vieler entspricht die lehramtliche Sexualmoral nicht mehr dem Forschungsstand der Humanwissenschaften. Was entgegnen Sie denen, die befürchten, die Kirche werde an moralischer Autorität verlieren, wenn sie auf ihrer Lehre beharrt?
Das stimmt natürlich, dass wir den Dialog mit den Humanwissenschaften brauchen. Und mir ist z.B. in der Begegnung mit transsexuellen Personen wirklich viel erläutert worden. Auch aus anderen Bereichen des großen Themenfeldes Sexualität. Ich lerne hier immer wieder neu dazu. Zugleich dürfen wir im Glauben aber auch nicht vernachlässigen, was wir aus der Offenbarung lernen. Und das geht mir zu oft unter. Zum Beispiel sagt uns Paulus, dass es darum geht, mit Christus „neue Schöpfung“ zu werden. Oder laut dem Jesus des Johannes-Evangeliums geht es darum, „neu geboren“ zu werden. Das heißt also: Der Glaube an Christus kann zu tiefgreifender Veränderung der Überzeugungen eines Menschen im Blick auf die Welt und auf sich selbst führen – bei jedem Menschen, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung. Bei jedem. Und dieser „Geburtsvorgang“ bedeutet – davon bin ich überzeugt — eine neue Art der Freiheit, ein neues Lernen zu lieben, eine neue Identität als Kind Gottes, ein Leben aus der Vergebung der Sünden. Alles das und mehr kommt aus dem Leben des Glaubens und kann deshalb qua Methode und Inhalt von keiner der Humanwissenschaften je erfasst werden. Es liegt tiefer. Das heißt nun: Natürlich schauen wir auf die Welt, wie sie ist und auf die Ergebnisse der Wissenschaften. Aber wenn wir das isoliert tun, ohne die Augen des Glaubens, dann kann es sein, dass Wissenschaften nur das erzählen, was sie ohnehin in menschlicher Lebenswelt vorfinden. Aber nicht das, was der Mensch in Christus sein kann und sein soll. Wie könnte man das, was wir „Heiligkeit“ eines Menschen nennen, also sein tiefes Leben aus Gottes realer Gegenwart je „humanwissenschaftlich“ erfassen? Und zur zweiten Frage: Ob die Kirche an moralischer Autorität insgesamt in dieser Gesellschaft verliert, wenn sie bei ihrer Lehre bleibt, ist natürlich bedenkenswert, aber letztlich geht es doch tiefer um die Frage, was vor Gott wahr ist? Und das ist nicht einfach eine Sache von Mehrheiten in liberalen Gesellschaften. Und selbstverständlich sehe ich auch, dass die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs und das daraus folgende Leid vieler Menschen unglaublich an unserer Glaubwürdigkeit in diesen Fragen zehrt. Natürlich wird damit auch die Chance, unsere Lehre plausibel zu erklären und zu leben, für viele Menschen fast verunmöglicht. Zudem: Wenn wir die Lehre gar nicht mehr oder verkürzt kommunizieren, als bloße Moralvorschrift etwa, wird sie von den Menschen kaum verstanden und kann tatsächlich Leidensgeschichten produzieren. Das heißt für mich: Natürlich müssen wir offen und einladend sein für alle Menschen jedweder Orientierung. Annahme ist immer das erste. Und dann müssen wir einfach gemeinsame Wege suchen, das Gespräch suchen, wie es gehen kann – auch vor dem je eigenen Gewissen und mit der je eigenen Lebensgeschichte. Einfach eine Person ungesehen als „Sünder“ abstempeln, ist doch längst kein Weg mehr. Wir haben in diesem Anliegen in unserem Bistum auch schon vergangenes Jahr eine Stelle für die Arbeit in der Queer-Pastoral ausgeschrieben – und diese inzwischen auch seit einigen Monaten schon besetzt.
„Ich hoffe weiter um ein Suchen und Ringen nach Einmütigkeit.”
Bei der Vollversammlung der Deutschen Bischöfe werden der Synodale Weg und die Vorbereitung des Ad-limina-Besuchs der deutschen Bischöfe im November in Rom wichtige Themen sein. Wird es nach Ihrer Meinung gelingen, eine gemeinsame Position zu finden?
Ich hoffe es: Ich tu mich allerdings schwer, es mir vorzustellen, da die Positionen aus meiner Sicht inzwischen kaum mehr versöhnbar scheinen. Einige Bischöfe haben in Frankfurt ja sehr deutlich signalisiert, wie sie weitergehen und was sie – so wörtlich – schon „umsetzen“ wollen.
Wie geht es jetzt weiter? Und was ist ihr Wunsch für den weiteren Verlauf des Synodalen Weges?
Ich hoffe weiter auf ein Suchen und Ringen nach Einmütigkeit – ich selbst möchte meinen Beitrag dazu leisten. Aber ich fürchte, dass sich der Weg der Kirche in Deutschland in die Selbstsäkularisierung weiter fortsetzt. Persönlich werde ich weiter versuchen, in allem Freimut und hoffentlich geduldig und demütig das Evangelium von der Rettung des Menschen durch Jesus Christus zu verkünden – und dabei selbst immer auch Hörender und Suchender bleiben. Dabei will ich auch – wie ich es versprochen habe – in der Einheit mit dem Heiligen Vater und der von ihm bezeugten Lehre bleiben. An diesem Dienst und dem Weg mit den Menschen habe ich auch wirklich Freude. Freilich: Lehrentwicklung hat es immer gegeben. Aber in diesen Fragen, die Sie hier stellen, geht es um so etwas wie die Schöpfungsordnung. Ich kann mir vorstellen, dass ein neues Konzil auch diese Fragen verhandelt — und da würden sie auch hingehören. Aber ich meine, dass sich dann auch zeigen würde, dass die Kirche in wesentlichen Grundpfeilern trotzdem keine Möglichkeit zur Veränderung hat. Zur Differenzierung schon, zu pastoralen Zugängen auch. Aber ich meine, wesentliche Kernforderungen, die der Synodale Weg zur Disposition stellt, könnte auch ein Konzil nicht verändern. Alles andere würde mich sehr überraschen. Sehr gespannt bin ich übrigens darauf, was bei unserem Ad-limina-Besuch im kommenden November passieren wird, wenn wir als ganze Bischofskonferenz beim Papst sind.
Interview: Wolfgang Krinninger