Konrad Thieme ist ein aufgeweckter kleiner Junge, der demnächst drei Jahre alt wird. Er liebt Landmaschinen, Bücher und Malen. Doch hat er in seinen noch jungen Jahren schon mehr Zeit im Krankenhaus verbracht als andere und hat mehr als einmal Glück im Unglück gehabt.
Auf den ersten Blick wirkt Konrad wie jedes andere Kind auch, ist ein bisschen zarter, aber nicht weniger aufgeweckt und munter. Gerade sind sie aus dem Wald gekommen, ein Christbaum muss zu Weihnachten geholt werden. Doch den richtigen hat Georg Ostermaier, Konrads Papa, in seinem Waldstück noch nicht entdeckt.
Jetzt geht es wieder ins Haus. Der fast Dreijährige geht voran und bei näherem Hinschauen sieht man, dass sich eine Atemhilfe an seinem Hals befindet – eine sogenannte Trachealkanüle. Die ist für ihn lebensnotwendig und ermöglicht ihm das Atmen. Er hustet und Mama Annika greift routiniert zum Absauggerät und macht die Kanüle wieder sauber. Dann geht es weiter zum Spielen – nicht ohne noch vorher ein Plätzchen in den Mund zu stecken. Er ruft nach seiner Schwester Tilda (ein Jahr), zählt Farben, Zahlen und Buchstaben auf – mit dünner Stimme, aber verständlich.
Das war nicht immer so. Und dass das momentan so gut geht, nennt Georg ein großes Wunder.
Ursache: eine kleine verschluckte Batterie
Wunschkind Konrad ist im Februar 2022 zur Welt gekommen. Eine glückliche Bilderbuchfamilie auf einem kleinen Bauernhof bei Wald/Alz. Doch alles änderte sich am 16. November 2022 – ein Tag den die beiden wohl nie vergessen werden. In einem unbeobachteten Moment hat der kleine Mann eine Knopfzelle auf dem Schreibtisch gefunden und verschluckt. Dass es eine kleine Batterie war, die alles ausgelöst hat, haben wir zuerst nicht gewusst – erst zehn Tage später, wurde die Ursache gefunden, so erinnert sich Georg. „Schwer hat der Bub geschnauft, aber wir waren krank – hatten Corona. Notruf-Krankenhaus Altötting: dort gingen die Ärzte von einer Lungenentzündung aus. „Die wollte aber nicht abheilen“, so Annika, die ihrem Kind nicht von der Seite gewichen ist.
Zehn Tage hat sich die kleine Batterie in der Speiseröhre befunden und dort großen Schaden angerichtet. „Ein Drittel der Luftröhre, zwei von sechs Zentimetern sind kaputt. Ein münzgroßes Loch hat sich gebildet und eine Verbindung von der Luft- zur Speiseröhre entstand, durch die Verätzung, die sich durch den Stromfluss rund um die Batterie gebildet hat“ erklärt Georg.
Die Ärzte waren ratlos, verlegten das neun Monate alte Kind in die Passauer Kinderklinik. Auch dort gab es viele kritische Nächte und die Knopfzelle blieb weiterhin unentdeckt. „Es gab die eine Nacht, in der es so ernst wurde, dass mein Kind mit dem Hubschrauber als Intensivverlegung in die Uniklinik Regensburg geflogen wurde. Da bin ich mit dem Zug nachgereist. Georg musste wegen seiner Coronainfektion zuhause bleiben“, erinnert sich Annika an die bangen Stunden.
Zehn Tage nach dem unbemerkten Unfall hat eine Regensburger Ärztin am ersten Advent 2022 die Batterie in Konrads Hals entdeckt und entfernt. Die Schäden, die sie verursacht hatte, waren enorm, das Überleben großes Glück. Eine unmittelbare OP war nicht möglich, guter Rat teuer um das Loch zu schließen. Eine sorgfältige Planung war für die schwierige Rekonstruktion nötig. Eine sehr komplizierte Hautverpflanzung erfolgte. Ein Hautflicken samt Blutversorgung wurde aus der Schulter des Kindes entnommen und so zwischen die Organe genäht, dass sie wieder dicht sind und Bakterien nicht mehr von der Speise- in die Luftröhre gelangen können.
Konrad kann inzwischen vieles mit Appetit essen.
Nach weiteren zwei Wochen versuchte das Behandlungsteam das Kleinkind aus seinem künstlichen Koma zu holen. Das Atmen auf normalem Weg war jedoch nicht möglich, sodass eine dauerhafte Atemhilfe angelegt wurde. Bleibt ein Hirnschaden durch die Sauerstoffunterversorgung? Georg und Annika wissen inzwischen, dass das nicht der Fall ist. Immer wieder gab es Zeiten des Hoffens und Bangens, Unsicherheit, Depression, Herausforderung, Anspannung, Verzweiflung und Überforderung. Doch es ging aufwärts, sodass eine Reha in Vogtareuth durchgeführt wurde. Dort lernten die Eltern, ihr Kind mit den ganzen Schläuchen und deren Handhabung zu versorgen. Konrad erhielt gezielte Krankengymnastik, Ergotherapie. Nach mehr als vier Monaten – von einem Krankenhaus zum anderen ging es für Konrad und seine Mama, die ihm nie von der Seite wich, wieder nach Hause.
Bei einem Kontrolltermin folgte der nächste Schock für die Eltern: Die Kehlkopfnerven, die für das Öffnen der Stimmlippen und somit für eine normale Atmung unerlässlich sind, funktionieren nicht mehr. Viele Arztgespräche folgten, um das weitere Vorgehen zu besprechen, guter Rat war teuer und nicht vorhanden. Nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Rat“ ging es wieder nach Hause, der Sommer und Herbst mit vielen weiteren Krankenhausaufenthalten – diesmal in Traunstein — verging. Die Speiseröhre verengte sich immer wieder, wodurch das Essen sehr schwierig wurde. Alle zwei Wochen musste diese in Vollnarkose aufgedehnt werden. Später waren Behandlungen der Speiseröhre in der Münchner Haunerschen Klinik angesetzt und das Essen funktioniert nun immer besser. Konrad kann inzwischen vieles mit Appetit essen. Am liebsten mag er Toastbrot mit Leberwurst, Pilze, Knödel, Fisch oder Tortellini. Was er noch zu wenig isst, bekommt er über die Sonde durch seine Bauchdecke, aber auch die kann in absehbarer Zeit wieder entfernt werden, so Georg.
Wie ein Wunder
Vor wenigen Tagen waren die Eltern mit ihrem Konrad wieder einmal in der Uniklinik Regensburg für Untersuchungen. Wie ein Wunder erschien es den Eltern, als der behandelnde Professor berichtet, dass sich Konrads Stimmlippen wieder minimal bewegen. Die Stimmbänder sind nicht verletzt, sind elastisch und werden jetzt völlig unerwartet wieder von den notwendigen Nerven angesteuert. „Das hat der Arzt noch nie gesehen“, freuen sich die Eltern. Noch längst ist es nicht so, dass der Zweijährige nun schon auf normalem Wege atmen könnte, doch es beseht neue Hoffnung, dass sich die Nerven mit der Zeit weiter regenerieren. „Das ist die Voraussetzung für ein normales Atmen in der Zukunft und das schönste Weihnachtsgeschenk überhaupt“, freuen sich die beiden.
Seit September geht Konrad in die Kita in Wald. Doch vieles wäre nicht möglich, wäre da nicht der ambulante Kinderintensivpflegedienst InCordes aus Tacherting, der den Jungen nachts betreut und ihn die Lotte-Ehrhardt Bildungsakademie in Wald begleitet. „Der Konrad liebt die Kita und geht schon richtig gerne dort hin. Die anderen Kinder haben kein Problem mit ihm“, freut sich Annika.
„Man darf die Kraft des Gebetes nicht unterschätzen!”
Viele Krisen haben Georg und Annika seit dem Unglückstag durchgemacht und jeder der beiden geht anders damit um.
Georg hat hier, tiefverwurzelt im Ort und der Pfarrei, seine Kraft im Glauben gefunden. „Der Heilige Bruder Konrad ist der Namenspatron meines Kindes. Ich habe ihn schon oft angerufen, viel gebetet, die Bruder-Konrad-Kirche in Altötting oft aufgesucht. „Ich bin mir sicher, dass das für die Rettung und Genesung unseres Sohnes nach so einem so lebensbedrohlichen Unfall viel geholfen hat. Man darf die Kraft des Gebetes nicht unterschätzen. Ich empfehle es allen“, sagt Georg, der immer positiv eingestellt ist und in einer besonders dunklen Stunde die Krankensalbung durch den Regensburger Krankenhausseelsorger spenden ließ. Mit Pfarrer Michael Witti (Feichten) und Prälat Günter Mandl (Altötting) hat er guten Kontakt und kann auf deren offenes Ohr vertrauen.
Annika geht damit anders um. Sie findet Kraft in Familie und Freunden, die weit weg von ihrem Wohnort im Münsterland wohnen. „Mein Bruder ist Arzt und konnte mir viel erklärten – er ist mein Lexikon“, erzählt sie. Sie baut auf all jene, die sie anrufen kann, wenn sie Hilfe oder Rat braucht oder sich einfach nur über die kleinen Fortschritte freut.
Lange Zeit haben die beiden einfach nur funktionieren müssen: Georg zuhause auf dem Hof und in der Landwirtschaft, als Selbständiger. Annika hat ihre Pläne, nach einem Jahr Babypause wieder in ihren Beruf als Architektin zurückkehren zu können vorerst an den Nagel gehängt und ist inzwischen mit allen bürokratischen Vorgängen; die die Pflege mit sich bringt; vertraut.
24 Stunden sieben Tage die Woche für ein krankes Kind verantwortlich sein müssen, zehrt und gibt zudem kaum Platz für Zweisamkeit. „Es ist immer die Angst dabei, dass etwas passiert, selbst wenn er ‚nur‘ um die Ecke ist. Es könnte die Kanüle rausfallen und dann ist es ein richtiger Notfall“, so Annika.
Doch möchten die beiden für sich und die Kinder einen weitgehend normalen Alltag, wenn auch lange Ausflüge und Urlaube noch nicht möglich sind. „Wir müssen unser ganzes Equipment inklusive einer Notversorgung mitnehmen. Sauerstoffflasche, Sauerstoffkonzentrator für die Luftversorgung, Absauger, Verbandsmaterial, Nahrung — das ist schwierig.“ Doch die Hoffnung, in einigen Jahren wieder ein vollständig gesundes Kind zu haben, lässt sie große Stärke entwickeln. „Es freut uns, dass so viele Menschen an unserer Seite sind, um unser Kind zu fördern und zu heilen“, zeigen sich beide dankbar.
Und jeder kleine Fortschritt ist für die kleine Familie ein Weihnachtsgeschenk.
Text und Fotos: Tine Limmer