Das glauben wir

Erzählen als Widerstand

Redaktion am 17.11.2021

November21 erzählenalswiderstand Foto: Mareen Maier / KDFB
Mit-Herausgeberin Dr. Barbara Haslbeck ist davon überzeugt, dass das Buch „Erzählen als Widerstand“ offenlegt, in welchem Ausmaß auch erwachsene Frauen in der katholischen Kirche von Missbrauch betroffen sind.

Es sind erschütternde Berichte, die betroffen machen und sensibilisieren sollen: Im Buch „Erzählen als Widerstand“ sprechen Frauen von ihren Erfahrungen mit spirituellem und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche. Die Sammlung erschien im vergangenen Jahr am 25. November und damit am Internationalen Gedenktag gegen Gewalt an Frauen. Nun, ein Jahr später, hat die Passauer Aktionsgruppe „NEIN zu Gewalt an Frauen“ mit der Vorstellung dieses Buches im Bildungshaus Spectrum Kirche ihr diesjähriges Aktionsprogramm eröffnet.

Eines stell­te Wal­bur­ga Wes­ten­ber­ger, Frau­en­seel­sor­ge­rin im Refe­rat Frau­en des Bis­tums Pas­sau, gleich zu Beginn klar: Kei­nes­wegs soll­te es an die­sem Abend dar­um gehen, die Kir­che anzu­schwär­zen“. Es geht viel­mehr dar­um, Unrecht, das auch unter dem Dach der Kir­che und dem Deck­man­tel von Reli­gi­on und Glau­be pas­siert, sicht­bar zu machen. Es ist wich­tig, die­ses Unrecht zu benen­nen und zu bespre­chen“, sag­te Wes­ten­ber­ger zur Ein­füh­rung und über­gab das Wort an Dr. Bar­ba­ra Hasl­beck. Die Theo­lo­gin und Theo­lo­gi­sche Refe­ren­tin für Fort- und Wei­ter­bil­dung in Frei­sing zählt zum Kreis der Her­aus­ge­be­rin­nen des Buches, die alle­samt in der Theo­lo­gi­schen Kom­mis­si­on des Katho­li­schen Deut­schen Frau­en­bun­des enga­giert sind. Hasl­beck ver­deut­lich­te, was das Buch so beson­ders macht: Betrof­fe­ne Frau­en selbst fin­den Wor­te für das, was bis­her – wenn über­haupt – nur ver­schämt ansprech­bar war. Die 23 Berich­te spie­geln wie ein Kom­pen­di­um all das, was zu sagen ist, wenn es um Miss­brauch an erwach­se­nen Frau­en in der Kir­che geht. Mein Ein­druck ist: Jede Frau hat sehr gerun­gen, die rich­ti­gen Wor­te zu fin­den. Denn wie kann man das Unsag­ba­re sagen?“, frag­te Hasl­beck. Wenn zuvor von Miss­brauch an erwach­se­nen Frau­en in der Kir­che die Rede war, sei oft von einem Ein­zel­fall“ gespro­chen wor­den. Das Buch bewei­se, dass die­se Ein­schät­zung trügt. In dem Moment, wo vie­le von ihren Erfah­run­gen erzäh­len, zeigt das doch, dass es in der Struk­tur der Kir­che etwas gibt, das Miss­brauch ermög­licht“, erklär­te Hasl­beck. Der Miss­brauch geschah den Berich­ten zufol­ge oft im Rah­men von Geist­li­cher Beglei­tung, von Exer­zi­ti­en und Beichte. 

Gemein­sam mit den Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern beleuch­te­te Hasl­beck ver­schie­de­ne Lern­erfah­run­gen, die sich aus dem Buch zie­hen las­sen. Allen vor­an: Wir haben erkannt, dass spi­ri­tu­el­ler und sexu­el­ler Miss­brauch eng mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Von den 23 Berich­ten im Buch spre­chen eini­ge weni­ge aus­schließ­lich von spi­ri­tu­el­lem Miss­brauch. Aber alle, die sexu­el­len Miss­brauch schil­dern, haben vor­aus­ge­hend auch spi­ri­tu­el­len Miss­brauch erlebt.“ Eine ver­brei­te­te Stra­te­gie der Täter sei deut­lich gewor­den, näm­lich zu sug­ge­rie­ren, dass das, was pas­siert, nor­mal sei. Wenn etwa der Pries­ter der Frau sagt, dass das, was er mit ihr tut, die Lie­be Got­tes zeigt, wird die Wahr­neh­mung der Frau außer Kraft gesetzt. Es ver­fes­tigt sich bei ihr der Ein­druck: Selbst Gott will das für mich.‘“ Zudem zei­ge das Buch, dass es kei­ne Schub­la­den gibt, was die Betrof­fe­nen angeht. Wir selbst haben damit gerech­net, dass sich vor­wie­gend Ordens­frau­en mel­den. Sie haben sich auch gemel­det. Neun der Berich­te im Buch stam­men von Ordens­frau­en. Aber: 14 Berich­te kom­men von ande­ren Frau­en. Es gibt nicht DIE Frau, die in der Kir­che Miss­brauch erlebt. Die Frau­en sind enorm unter­schied­lich, sind Sin­gle oder ver­hei­ra­tet, älter und jün­ger. Was aber alle Frau­en ver­bin­det: Sie sind hoch­enga­giert in der Kir­che.“ Hasl­beck beton­te wei­ter­hin, dass die Berich­te klas­si­sche Fra­gen wie Das sind doch erwach­se­ne Frau­en, die kön­nen doch nein sagen, oder nicht?“ beant­wor­ten. Der Miss­brauch bah­ne sich meist stra­te­gisch an und die Per­son, die miss­braucht, baue sich als Ver­trau­ens­per­son auf. Betrof­fe­ne iden­ti­fi­zie­ren sich dann ganz mit der Per­son, tun alles, um es ihr recht zu machen. Die­se Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Aggres­sor macht es schwer, nein zu sagen. Die Frau erkennt nicht mehr, wie sehr sie benutzt wird. Es ist für sie leich­ter, davon aus­zu­ge­hen, dass das, was geschieht, auch das ist, was sie selbst will“, erklär­te Hasl­beck. Eben­falls auf­fäl­lig: Zahl­rei­che der Frau­en, die im Buch ihr lan­ges Schwei­gen bre­chen, waren bereits als Kin­der von Miss­brauch betrof­fen. Zudem beschrei­ben die Frau­en den Miss­brauch immer ein­ge­bet­tet in eine Abhän­gig­keits­si­tua­ti­on“, so Hasl­beck weiter. 

Eine der Frau­en, die ihre Geschich­te im Buch unter dem Pseud­onym Anna Alt­haus erzählt, war per­sön­lich anwe­send. Sie hat­te über 30 Jah­re haupt­amt­lich für die katho­li­sche Kir­che gear­bei­tet, bis sie im Rah­men eines Anstel­lungs­ver­fah­rens Macht­miss­brauch erleb­te und unter Druck gesetzt wor­den sei, über per­sön­lichs­te Din­ge wie ihre Sexua­li­tät und ihren Geschlechts­part­ner Aus­kunft zu geben. Für sie haben die Gescheh­nis­se zum Ver­lust ihrer Hei­mat geführt. Ich habe in die­ser Kir­che gelebt, sie geliebt. Die Hei­mat­lo­sig­keit ist wie ein Tsu­na­mi. Es bleibt kein Stein auf dem ande­ren, im Inne­ren erlebt man Erschüt­te­rung. Die Orga­ni­sa­ti­on, die sagt, sie will das Heil des Men­schen, darf so etwas ein­fach nicht machen. Das ist ein Ver­bre­chen an See­len.“ Alt­haus schil­der­te schließ­lich aber auch, was sie hat über­le­ben las­sen. Das waren Men­schen, die mei­ne Ver­let­zung ver­stan­den haben und gesagt haben: Wie du fühlst, ist in Ord­nung. Die­se Men­schen waren weder emo­tio­nal noch finan­zi­ell von der Kir­che abhän­gig.“ Gehol­fen habe ihr zudem, zu akzep­tie­ren, dass sie wegen der Gescheh­nis­se erkrankt ist. Psy­chisch gebro­chen, trau­ma­ti­siert und depres­siv bin ich in eine Kli­nik gegan­gen. Nach­dem ich mich auf die­se Wei­se aus­rei­chend sta­bi­li­siert hat­te, habe ich mich der Tat­sa­che gestellt, dass ich nun ohne Arbeit und finan­zi­el­le Sicher­heit bin.“ Alt­haus ver­wen­de­te all ihre Kraft dar­auf, sich neu zu qua­li­fi­zie­ren, um sich eine kir­chen­un­ab­hän­gi­ge Exis­tenz auf­zu­bau­en. So ist es mir gelun­gen, Schritt für Schritt wie­der auf die Füße zu kom­men. Ich bin zurück im Leben.“ Letzt­lich habe sie auch gelernt, zu akzep­tie­ren, dass sie für den Anteil der Kir­che, für die Schuld des Täters und die Nicht­auf­klä­rung der Gescheh­nis­se durch die Ver­ant­wort­li­chen, nicht zustän­dig sei. Nichts von dem liegt in mei­ner Ver­ant­wor­tung. Ich bin ganz frei, bei mir zu sein, und zu erzäh­len, was ich erlebt habe. Ich habe erlebt: Erzäh­len ist Wider­stand. Wider­stand bringt Kon­fron­ta­ti­on. Kon­fron­ta­ti­on schafft Klar­heit. Klar­heit ermög­licht Ent­schei­dung. Und Ent­schei­dung hat mir das Leben geöffnet.“

Text: Mareen Maier

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