Aufrüttelnde Ansprache des bekannten Münchner Priesters beim KEG-Neujahrsempfang – Zugleich Wunsch nach offenen Pforten in der Kirche geäußert
Passau. Für seine markigen Worte und eine unkonventionelle Seelsorge ist der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler weit über seinen Wirkungskreis in der bayerischen Landeshauptstadt hinaus bekannt – vor allem als kritischer Buchautor, aber auch aufgrund häufiger TV-Auftritte. Als Festredner beim Neujahrsempfang der Katholischen Erziehergemeinschaft (KEG) im Spectrum Kirche in Passau-Mariahilf wurde der 64-Jährige ebenfalls erwartet deutlich. Er riet den Lehrern und Erziehern zu Ehrlichkeit – auch zu sich selbst – und zu Mut. An die Kirche adressierte er den Wunsch nach mehr offenen Pforten. „Wir dürfen niemanden wegschicken“, betonte Schießler.
Gegenwärtig werde er geradezu überhäuft mit Anfragen, Beerdigungen für aus der Kirche ausgetretene Verstorbene zu halten, ließ der Priester die rund 70 Zuhörer wissen. Der Grund dafür liegt offensichtlich darin, dass Schießler nach eigenen Worten nie auf die Idee käme, die Gläubigkeit eines Menschen an seinem Kirchenbesuch festzumachen. Vielmehr müsse man den Leuten das Gefühl vermitteln, willkommen zu sein, sagte er und plädierte für die Suche nach vernünftigen Lösungen nicht auf Kosten der Menschlichkeit. Offen vertrat der gebürtige Münchner die Überzeugung, dass keiner für die Gegensätze zwischen der katholischen und der evangelisch-lutherischen Konfessionen mehr Verständnis habe. „500 Jahre Trennung sind eigentlich genug“, erklärte Schießler und rief damit ein leises Raunen im Saal hervor.
Als Cocktail zum neuen Jahr war dessen Vortrag angekündigt – eine spontane Idee des bei seinen Schäfchen überaus beliebten Stadtpfarrers von St. Maximilian, als er sich während der telefonischen Anfrage des KEG-Kreis- und stellvertretenden Bezirksvorsitzenden Robert Drexler gerade Honig in den Tee getan habe. Passend zu dem Bild erinnerte Schießler an die jüngste „Schunkelmesse“ für alle Prinzenpaare samt Garden aus München und Umgebung, mit deren Premiere er vor einigen Jahren Kritiker auf den Plan gerufen habe, „die gar nicht da waren.“ Gedanklich schlug der Theologe damit die Brücke zur biblischen Geschichte von der Hochzeit von Kana mit der seiner Ansicht nach wichtigsten Aussage „Füllt die Krüge mit Wasser“ entgegen den geläufigen Auslegungen, zu tun, was Jesus zu den Dienern sagt, nachdem der Wein ausgegangen ist.
Was für eine Anmaßung in der Not sei es gewesen, die für die rituelle Fußwaschung bestimmten Krüge mit Wasser zum Trinken zu füllen, bekundete Rainer Maria Schießler und verknüpfte damit den Hinweis, dass keiner der Anwesenden in Kana dagegen protestiert habe, weil das Tun aus dem Vertrauen auf einen Sinn heraus erfolgt sei. Auch die Jecken in seiner Kirche wollten in einer Welt, die gerade brenne, Ausrufezeichen setzen, das Leben zu genießen und sich selbst zu mögen. „Lasst Euch auf das Wunder ein“, leitete der Geistliche als Botschaft daraus gerade in wirren Zeiten ab, in denen die Menschen Hoffnung, Geborgenheit, Sicherheit und Heimat haben wollten – vor allem nach Corona und nach bereits mehrjährigen Kriegen. Es sei eine Bestimmung, fröhlich und lustig zu sein, dabei aber auch nach Lösungen zu suchen.
Erziehung heißt für Schießler, jemanden dorthin zu bringen, wohin er vielleicht gar nicht wolle – „aber ohne Gewalt“. Der Festredner stellte den Begriff Begeisterung in den Mittelpunkt. „Junge Leute wollen Ehrlichkeit von uns“, fügte er hinzu und sprach sich dafür aus, den Kindern und Jugendlichen Authentizität und Lebenswahrheit zu schenken. Denn nur wer ehrlich zu sich selbst sei, könne ehrlich gegenüber anderen sein – ein Wunsch, den der Münchner Stadtpfarrer auch an die Verantwortlichen in der Politik richtete. Dazu gehöre Mut, den anderen anzunehmen. Der KEG, als deren Geistlicher Beirat Schießler fungiert, legte er ans Herz, mit einer geschlossenen Stimme aufzutreten. Gleichsam zur Garnierung seines übertragenen Cocktails schloss der Priester seine gut 40-minütigen Ausführungen mit einem Gedicht des Schriftstellers und Kabarettisten Hanns-Dieter Hüsch, das wie folgt endet: „Ich setze auf die Liebe. Schluss.“
Davon geprägt waren auch die einleitenden Worte von Robert Drexler, der als Wunsch für die verbleibenden elf Monate des Jahres 2025 den KEG-Mitgliedern empfahl, in ihrem Lebensbereich ein friedliches Umfeld und ein harmonisches Miteinander zu schaffen – in einer Welt, die immer mehr aus den Fugen zu geraten scheine. Der ermutigende Impulsgedanke des Gastgebers: „Jeder von uns kann seinen Beitrag leisten, im Kleinen an einem lebenswerten, friedlichen und zukunftsfähigen Umfeld mitzuarbeiten.“ Auch Drexler griff die Idee eines Cocktails – hier für Bildung und Erziehung – auf. Er verknüpfte damit die Frage, ob Grundtechniken wie die Beherrschung sinnentnehmenden Lesens und Kopfrechnens im digitalen Zeitalter gar nicht mehr so notwendig seien, ebenso wenig wie das Erlernen möglichst vieler Sprachen statt des möglichst professionellen Umgangs mit digitalen Medien, selbst auf die Gefahr hin, von diesen immer mehr beherrscht zu werden.
Vielleicht sei es in dem Cocktail eine entscheidende Zutat, für die Werte und die sogenannten Schlüsselqualifikationen wie Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Toleranz und Rücksichtnahme einzutreten, überlegte Drexler. „Erziehung und Bildung kann nur funktionieren, wenn man die Zutaten sorgsam auswählt und richtig proportioniert“, gab der KEG-Vorsitzende zu bedenken. Neben Wissen und Kompetenzen dürfe „die pädagogische Liebe“ nicht zu kurz kommen, vor allem nicht das Menschliche, die Persönlichkeit jedes Einzelnen und die für die christlich orientierte Gesellschaft prägenden Werte, unterstrich Drexler im Beisein hochkarätiger Ehrengäste, darunter Abteilungsdirektor Ralf Reiner von der Regierung von Niederbayern und aus Passau der Leitende Schulamtsdirektor Klaus Sterner.
„Ehrfurcht vor Gott“ nannte Domkapitular Dr. Bär als das oberste Erziehungsziel in der Bayerischen Verfassung. Dazu brauche es einen Verband wie die KEG, die diesen Grundsatz weitertrage – gerade in Zeiten, in denen nur noch die Hälfte der Kinder und Jugendlichen an Grund- und Mittelschulen am Religionsunterricht teilnehme, der Rest Ethik belege. Der Grußwortredner stellte die Frage in den Raum, ob sich mit dieser Quote der verfassungsmäßige Auftrag überhaupt noch erfüllen lasse. Ebenso wies der hohe Geistliche auf die schwindende Zahl von Erstkommunionkindern hin. Umso deutlicher machte Dr. Bär auf das Heilige Jahr 2025 mit dem Symbol der offenen Tür aufmerksam.
Dass sich – wie bei ihm selbst – gute Lehrer von einst auf Dauer im Kopf verfangen, das wünschte Armin Dickl den KEG-Mitgliedern. „Beruf kommt von Berufung“, hob er hervor und verband damit die Hoffnung, dass die Pädagogen Leuchtfeuer bei den Kindern entfachen könnten, um sie für etwas zu begeistern, und auch mehr Aufgeklärtheit vermitteln. 95 Prozent aller Nachrichten seien negativ, bemängelte Vize-Landrat Jeggle, der nicht minder deutlich anprangerte, dass auch immer mehr politisch Verantwortliche scheinbar jeglichen Anstand verloren hätten. Umso wichtiger sei es, kognitives Lernen einzubinden in die Vermittlung von Haltung und Werten. „Es geht um frohe Kinderseelen und fröhliche Lehrkräfte, die ein Kind entscheidend prägen“, stellte der ehemalige Schulamtsdirektor fest, der die Orientierung des schulischen Lebens an den christlichen Werten propagierte.
Kinder sagten oft, das Gefühl zu haben, dass keiner für sie da ist, prangerte der KEG-Bezirksvorsitzende Erwin Müller in seinen Schlussworten an. Deshalb erachtete er es für besonders bedeutsam, die Sicherheit als Christen von oben – über Gott – als Verbindung auch zwischen Lehrern und Kindern wieder zu schaffen. „Den Menschen als Persönlichkeit achten“, skizzierte er als Losung für den Schulalltag, die sich die KEG auf die Fahne schreibe. Mit Songs wie „Menschenjunges“ und der Sentenz „Möge das Leben hier gut zu Dir sein“ umrahmte Valerie Watts aus St. Florian am Inn den Neujahrsempfang auf wunderbar stimmige musikalische Weise.
Text: Bernhard Brunner