Im Rahmen einer Kreuzwegandacht in Heiligenstatt hat Bischof Stefan Oster im Namen der Kirche von Passau Missbrauchsopfer um Vergebung gebeten. Zuvor hatte er mit über 100 Teilnehmern den Kreuzweg von Altötting nach Heiligenstatt gebetet – eingeladen waren nicht nur Verantwortungsträger der Kirche, sondern auch Menschen, die selbst von Missbrauch betroffen waren.
Sehr deutlich benannte Bischof Stefan Oster in seiner Predigt die Verantwortung der Kirche für „sexuellen Missbrauch“, „Gewaltmissbrauch“ und „spirituellen „Missbrauch“: „Ich stehe mit vielen anderen, die hier sind, für eine Institution, die ihren eigenen Auftrag und ihre Sendung immer wieder dramatisch pervertiert hat. Ich stehe für eine Institution, in der es Denkmuster, Handlungsmuster und Strukturen des Selbstschutzes, der Vertuschung, des Wegschauens gab und immer noch gibt. Ich stehe für eine Institution, in der wir keine Verantwortung übernommen haben und Opfer von Gewalt und Missbrauch im Regen und in der Kälte der Welt und vor allem in ihrem Leid haben schutzlos stehen lassen.“
Sehr deutlich wandte sich der Bischof von Passau auch gegen die Neigung, sich und die Institution selbst zu schützen oder die Taten zu relativieren: „Auch wir haben Anteil daran, dass es geschehen konnte. Auch in uns, auch in mir gibt es die Seite, die wegschauen will, die keinen Ärger will, die das Problem kleiner machen oder schöner reden will als es ist.“ Weiter erklärte er: „Und ich kenne auch unsere Neigung zu Selbstentschuldigung: ‚Bei uns sind es ja nicht so viele. Und das, was bei uns war, war vielleicht nicht so schlimm wie anderswo.‘ Doch, doch meine Lieben, auch bei uns gab es Unaussprechliches, nicht wenig. Und wir wissen nicht, ob und in welchem Ausmaß es immer noch da ist.“
Ebenso deutlich benannte Bischof Oster die Auswirkungen der Taten auf die Opfer und das Ausmaß der Schuld der Kirche:
„Kinder sollen durch unser Handeln lernen, Kinder Gottes zu werden, Freunde und Freundinnen Jesu. Aber sie wurden nicht selten durch einen vermeintlichen Freund Jesu in den Abgrund einer oft lebenslangen Höllenerfahrung gestürzt.”
In einer sehr bewegenden Ansprache dankte Bischof Oster Rolf Fahnenbruck; dieser war selbst von Missbrauch in der Kirche betroffen und engagiert sich heute als Sprecher des Betroffenenbeirates gegen sexualisierte Gewalt im Bistum Passau. Er hatte auch den Kreuzweg nach Heiligenstatt mitgestaltet und mitgebetet. „Ich danke Ihnen sehr für diesen Mut und dieses Zeugnis“, erklärte Bischof Oster und fügte hinzu: „Sie haben mir den beeindruckenden Satz gesagt: ‚Mein Glaube war mir immer wichtig, trotz allem. Und der oder die Täter waren es nicht wert, mir meinen Glauben zu nehmen.‘ Viele andere Betroffene finden nicht mehr zu dieser inneren, zur eigentlichen Mitte der Kirche – und wer könnte sie darin nicht verstehen.“
Dabei zeigte Bischof Oster auch deutlich die Grenzen der Kirche und ihrer Verantwortungsträger auf: „Wir bekennen, es ist Unverzeihliches passiert – und letztlich kann nur Gott Unverzeihliches verzeihen. Und wenn wir Menschen es können, dann nur in seiner Kraft.“ Ausdrücklich wandte er sich an all diejenigen, die der Kirche bei der Aufarbeitung der Taten die dringend notwendige Hilfe leisten: „Ich möchte Ihnen und den anderen Mitgliedern unseres Betroffenenbeirats besonders danken, dass auch Sie uns mithelfen, neu sehen zu lernen, was passiert ist und was heute nötig ist, damit es nicht mehr passiert. Und wie wir Betroffene besser begleiten können.“
Wie sehr die Kirche auf das Vertrauen und auf die Unterstützung gerade auch der Missbrauchsopfer angewiesen ist, wurde in Bischof Osters Schlussworten deutlich: Gerade sie zeigten, „dass es mitten in der Kirche trotz aller Sünde und Gewalt, wirklich auch das Heil zu finden gibt – in Jesus“. Die „Sünde der Menschheit“ habe Jesus ans Kreuz gebracht, aber Jesus habe den Tod besiegt. Dies zeige, „dass Missbrauch, Leid und Tod auch die Kirche nicht vernichten, weil es im Innersten Seine Kirche ist, nicht unsere“.
Die Wallfahrtskirche in Heiligenstatt, die den „Tag der unschuldigen Kinder“ (28. Dezember) als Patrozinium feiert, wurde bewusst für die Kreuzwegandacht ausgewählt. Zuvor waren die Teilnehmer den rund fünf Kilometer langen Kreuzweg vom Marienwallfahrtsort Altötting nach Heiligenstatt gegangen – zwischen den 14 Stationen beteten sie den Rosenkranz, sangen sie Marienlieder oder gingen sie schweigend. Bei winterlichen Temperaturen nahmen über 100 Gläubige teil, darunter zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der Bistumsleitung.
Text: Michael Glaß / Altöttinger Liebfrauenbote