Liebe Schwestern und Brüder,
mein verehrter Vorgänger im Amt des Bischofs von Passau, Bischof em. Wilhelm Schraml, wurde am 08.11.2021 ins Haus des Vaters heimgeholt. Bischof em. Wilhelm Schraml tritt nun dem wahrhaft entgegen, den als gekreuzigten und auferstandenen Herrn zu verkündigen er sich zur Lebensaufgabe seines priesterlichen und bischöflichen Wirkens gemacht hatte.
Mit Bischof Wilhelm Schraml starb ein Bischof, der zutiefst verwurzelt war in der Volkskirche: Die gelebten Glaubensüberzeugungen seiner oberpfälzischen Heimat Erbendorf prägten den jungen Wilhelm und ließen ihn hellhörig auf seine Berufung hören und ihr folgen.
Ein pastorales Herzensanliegen war dem Priester und Bischof Wilhelm Schraml das Wohl der Familien und die Sorge darum, wie junge Menschen ins Leben hineinwachsen und wer sie dabei begleitet. Das mag vielleicht auch darin begründet sein, dass seine Kindheit und sein Aufwachsen von der traurigen Erfahrung geprägt war, dass seine Mutter starb und sein Vater, der eine Bäckerei betrieb, alleine nicht für Wilhelm und seine beiden Brüder sorgen konnte. Eine Tante kümmerte sich deshalb um die Buben. Der Besuch des Alten Gymnasiums in Regensburg und des Studienseminars St. Augustin in Weiden führten Wilhelm dann fort von seiner Erbendorfer Heimat, fort von seiner Familie. Die Zeit im Internat konnte er im Rückblick mit etlichen heiteren und auch nachdenklichen Anekdoten füllen, die er in geselliger Runde gerne zum Besten gab.
An das Gymnasium schloss sich die Ausbildung am Priesterseminar Regensburg und an der dortigen Philosophisch-Theologischen Hochschule an, so dass Wilhelm Schraml am 29. Juni 1961 von Weihbischof Josef Hiltl in Regensburg zum Priester geweiht wurde. Sein priesterliches Wirken begann er als Kaplan in den Pfarreien Falkenstein, Kirchenthumbach und Regensburg-St. Konrad. Es war dies eine bewegte und bewegende Zeit, die der junge Priester dabei erlebte: Die Umwälzungen und die Dynamik des Zweiten Vatikanischen Konzils erlebte er hautnah mit. Insbesondere der hohe Stellenwert, den er der Liturgie beimaß, und das Bewusstsein für die je unterschiedlichen Dienste und Aufgaben innerhalb der Liturgie sowie für die damit einhergehende Ausbildung und Begleitung, prägten sein bischöfliches Wirken. Vor allem durch seine Liebe zur Kirchenmusik machte er deutlich, dass in der Schönheit und Festlichkeit der Liturgie beides ineinander findet: Im Lobpreis der Gläubigen und der Kirche lässt sich auch Gottes Liebe und Herrlichkeit im menschlichen Ausdruck erspüren und feiern.
Am 8. März 1986 wurde Wilhelm Schraml durch den Bischof von Regensburg, Bischof Manfred Müller, zum Bischof geweiht. Der Regensburger Weihbischof füllte fortan nicht wenige Aufgaben aus: Regionaldekan für die Region „Landshut“; Bischofsvikar für die caritativen Werke, Vorsitzender des Caritasverbandes der Diözese Regensburg, der Katholischen Jugendfürsorge und der Stiftung Kirchenmusikschule Regensburg, Leiter des Referates für Liturgie und Kirchenmusik sowie desjenigen für Ehe und Familie. Auf der Ebene der Bischofskonferenz wurde er schon als Weihbischof und mehr noch dann als Bischof von Passau in Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz gewählt bzw. darin immer auch bestätigt: Bischof Wilhelm war Mitglied und später auch stellvertretender Vorsitzender der Kommissionen V „Liturgie“ und XI „Ehe und Familie“; ferner arbeitete er bei der Unterkommission „Ecclesia celebrans“ mit, die das Ziel hatte, das Missale Romanum in einer neuen deutschen Übersetzung herauszugeben; darüber hinaus war er auch für eine Periode Mitglied des Verbandsausschusses des VDD (Verband der Diözesen Deutschlands).
Als Regensburger Regionaldekan waren Wilhelm Schraml auch die niederbayerischen Gegenden seines Heimatbistums vertraut, daher war ihm auch die volkskirchliche Prägung des Bistums Passau sehr nahe, für das er dann die Verantwortung übernahm. Freilich, seine beiden Amtsvorgänger stammten unmittelbar aus dem Passauer Klerus, daher brauchte es etwas, bis der Oberpfälzer Schraml und die Nieder- und Oberbayern des Bistums Passau sich aneinander gewohnt hatten, zumal er bei seinem Amtsantritt als 84. Bischof von Passau bereits 66 Jahre alt war. Doch aus einem anfänglich häufiger zu hörenden „bei uns in Regensburg“ wurde immer mehr ein vertrautes „bei uns in Passau“.
Der neuen Herausforderung stellte Bischof Wilhelm sich unermüdlich: Er war viel unterwegs in den Pfarreien unseres Bistums; insbesondere die Firmungen hatten bei ihm einen sehr hohen Stellenwert. Kaum ein Samstag und Sonntag vergingen, an dem er nicht in einer der 305 Pfarreien die Liturgie feierte, das Wort Gottes verkündigte und gerne den Menschen begegnete.
Zupackend und voller Energie war es Bischof Wilhelm ein Herzensanliegen, die volkskirchlichen Strukturen, die seinen Glauben und seine Frömmigkeit geprägt hatten, in den Pfarreien und Verbänden unseres Bistums zu stärken und ihre jeweilige Identität zu stützen: Bei allen notwendigen strukturellen Reformen hielt er immer daran fest, keine der 305 Pfarreien, ungeachtet ihrer Katholikenzahl, aufzulösen. Dennoch war ihm bewusst, dass die Zukunft des pastoralen Handelns von Kooperation einzelner pastoraler Räume geprägt sein werde. Wo es ihm um die Zukunft der Pfarreien ging, insbesondere um strukturelle Fragen, legte er Besonnenheit an den Tag. In anderen Fragen, vor allem wenn ihm eine Personalie oder Sachangelegenheit besonders wichtig waren, konnte er schnell und entschlossen sein.
Bischof Schraml war stets darum bemüht, einen guten Kontakt zur Kommunalpolitik und zu den staatlichen Behörden zu pflegen: Denn sowohl Kirche als auch die Politik und die staatlichen Ämter und Behörden sowie die Schulen haben in weiten Bereichen dieselben Menschen im Blick – und ziehen daher auch häufig am selben Strang. Deshalb gehörte es für Bischof Wilhelm bei pastoralen Besuchen in den Pfarreien ungefragt dazu, Kindergärten, Schule und auch das Rathaus zu besuchen – letztlich unter dem Leitwort, dass in jeder dieser Institutionen in der Zukunft unseres Landes investiert werde.
Als Glanzpunkt seines Episkopats kann mit Sicherheit der Besuch von Papst Benedikt XVI. in dessen bayerischer Heimat im September 2006 bezeichnet werden, zumal Bischof Schraml schon aus Regensburger Zeiten mit dem im Bistum Passau geborenen Joseph Ratzinger eng befreundet war. Sowohl über das Ende des Pontifikats als auch des Episkopates blieben beide einander verbunden. Sein Herzensanliegen, die Förderung der eucharistischen Anbetung, wurde tief bestätigt, als der Papst selbst die Kapelle in Altötting einweihte – und dort die immerwährende Anbetung beginnen ließ, die seither Tag und Nacht gepflegt wird. Ich selbst bin Bischof Wilhelm für diese Initiative überaus dankbar und verbunden – wie auch für viele andere Akzente seines Wirkens in der Treue zur Kirche und ihrer großen Tradition.
Im Was und Wie seines bischöflichen Wirkens hatte Bischof Wilhelm nicht nur Freunde; doch darin sah er auch nicht seinen Auftrag als Bischof. Die einem Bischof zukommende Aufgabe des Heiligens, des Leitens und des Lehrens nahm Wilhelm Schraml überaus ernst und verlangte dabei sich und anderen viel ab. Mit großer Entschiedenheit und Leidenschaft verkündigte er nach seinem Wahlspruch Jesus Christus als den Herrn. Ihm, den er vor allem in der Feier der Eucharistie und in der eucharistischen Anbetung begegnete, gehörte sein Leben. Und die Kirche war ihm innerster Ort dieser Begegnung. In einem Zeitungsartikel wurde er einmal als „jovialer Polterer“ charakterisiert. Ja, er konnte poltern und setzte sich leidenschaftlich ein, wenn es ihm um die Sache ging. Er konnte ebenso gut auch jovial, charmant auf die Menschen zugehen. Gerade in persönlichen Gesprächen gab er dem Seelsorger in sich viel Raum und konnte ein interessierter und mitfühlender Gesprächspartner und Ratgeber sein.
Seine Zeit des Ruhestandes in Altötting war geprägt durch seine Treue zur Feier der täglichen heiligen Messe in der Gnadenkapelle und durch den regelmäßigen Besuch in der Anbetungskapelle. Dort, am geliebten Gnadenort, der ihm zweite Heimat geworden war, ist er am 8. November 2021 friedlich gestorben. Ich selbst bin Bischof Wilhelm überaus dankbar: Ich konnte im Jahr 2014 ein von ihm in vielfacher Hinsicht gut geordnetes Bistum übernehmen. Vor allem zu Beginn meines Pontifikates war er mir ein wertvoller Ratgeber. Viele, vor allem jüngere Priester, hat er durch seine Liebe zum eucharistischen Herrn geprägt. In den letzten Jahren erfüllten ihn manche Entwicklungen in der Kirche mit Sorge, aber seine große Treue zu Christus und seiner Kirche weckten in mir immer wieder große Hochachtung. Möge unser Herr ihm all seine Verdienste um die Menschen und die Kirche lohnen – und möge er Ihm ein gnädiger Richter sein und ihn einladen zum himmlischen Freudenfest.
Bischof Dr. Stefan Oster SDB