
Es ist gar nicht immer so leicht sich selbst zu lieben, man kennt sich einfach zu gut, mit all seinen Fehlern und Unzulänglichkeiten. Wie soll man da noch den Nerv aufbringen seinen Mitmenschen nachsichtig und liebevoll zu begegnen? Mehr dazu von Dompropst Dr. Michael Bär in seiner Predigt zum 30. Sonntag im Jahreskreis am 29. Oktober 2023.
Auf die Frage „Wieviele Gebote haben wir denn in unserem christlichen Glauben“ würden viele wohl antworten, „na zehn, zehn Gebote“. Alle aufzuzählen, bringen wohl nur die wenigsten zustande. In der jüdischen Religion, auf der wir Christen ja basieren haben die Gelehrten allerdings aus den 10 Geboten und anderen Vorschriften, die sie in der Heiligen Schrift gefunden haben, nicht weniger als 248 Gebote und 365 Verbote herausgefiltert. Interessant, dass es weit mehr Verbote als Gebote gibt. Die Einhaltung dieser zusammen 613 Anordnungen entscheidet über die ewige Seligkeit. Kein Wunder, dass im Lauf der Jahrhunderte die Sehnsucht wuchs, auf einfacherem Wege in den Himmel zu gelangen und vor allem nicht im Feuer der Hölle zu landen.
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Jesus wird gefragt, was denn das wichtigste Gebot sei? Also um eine Orientierung im Dickicht der Regeln. Seine Antwort ist eine riesige Entlastung für alle Gläubigen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken.
Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“
Wir können also den Wust an Vorschriften auf gerade einmal drei Gebote reduzieren: Liebe Gott, liebe den Nächsten, liebe dich selbst! Freilich müssen auch die Zusätze beachtet werden, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit dem ganzen Denken. Das ist anspruchsvoll. Nicht einfach eine hingeträllerte Schlagerliebe, sondern eine Zuwendung durch und durch. Sie bewährt sich vielen Handlungsweisen im Alltag.
Liebst Du Gott – betest Du also auch regelmäßig zu ihm? Erweist Du ihm die angemessene Ehre und den Lobpreis im Gottesdienst? Ist er für Dich wie ein geliebter Vater, dem Du Dich voll und ganz anvertrauen kannst?
Liebst Du den Nächsten? In der Beantwortung dieser Frage kann ein Blick in der Lesung aus dem Buch Exodus helfen. Wie gehst Du mit Fremden um? Mit Flüchtlingen, mit Asylbewerbern? Wie verhältst Du Dich Witwen und Waisen gegenüber, also Leuten, die gesellschaftlich keine Chance haben, die dem wirtschaftlichen Untergang geweiht sind? Gehört zu Deiner Nächstenliebe vor allem das Mit-Leid?
Kannst Du Dich schließlich selber leiden? Mögen? Ja lieben? Was denn sonst, würden manche antworten. Doch so selbstverständlich ist die Selbst-Liebe nicht. Und wer die Selbst-Achtung verloren hat aus welchen Gründen auch immer, für den beginnt eine harte Zeit. Und für Liebesgefühle anderen gegenüber bleibt dann wohl kein Platz. Fang am besten bei Dir selbst an. Liebe Dich. Nimm Dich an. Glaub an Dich. Dann liebe den Nächsten und liebe Gott. Gelegenheiten gibt’s genug, mindestens 10 oder sogar 613.
Dompropst Dr. Michael Bär