
Ob ein Leben gelingt hängt von unzähligen Faktoren ab. Unter anderem von Begegnungen mit guten Menschen, Hilfestellungen zur rechten Zeit und im rechten Maß und natürlich viel Liebe und Geborgenheit. In seiner Predigt zum 32. Sonntag im kirchlichen Jahreskreis am 08. November 2020 beantwortet Dompropst Dr. Michael Bär die Frage: Was bringt ein Leben zum Leuchten?
Über den großen Eingangsportalen der mittelalter-lichen Kathedralen thront Christus, der Welten-richter, der am Ende der Tage darüber entschei-det, wer in das Himmelreich eintreten darf. Zu seiner Rechten sind die klugen Jungfrauen versam-melt. Zu seiner Linken die törichten. Die einen haben sich durch ihre Weisheit den Eintritt in das Paradies erwirkt, die anderen haben sich mit ihrer Dummheit alles verdorben. Sind Sie auf diesen letzten Tag der Begegnung mit dem Herrn vorbereitet? Wie sieht Ihre Sterbens-tüchtigkeit aus? Wie haben sie vorgesorgt?
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Wenn ich mit alten Leuten Gespräche über die letzten Dinge, die zu regeln sind, führe, dann geht es meist um die ordentliche Übergabe des Er-bes an die Nachkommen. Um das Begräbnis. Das Grab, das den Hinterbliebenen möglichst wenig Ar-beit machen soll.
Viel wichtiger ist jedoch die Frage: Was bringt ein Leben zum Leuchten, worin besteht das Öl, das die klugen Jungfrauen mitbringen und dessen Licht mir die Richtung zum Herrn zeigt und mich dorthin finden lässt?
Öl ist nichts Fertiges, Öl ist das Ergebnis von Wachstum und Arbeit. Ein Olivenhain wird ange-legt, die Bäume werden gepflegt, die Früchte wer-den geerntet, die Oliven werden gepresst und das goldgelbe Öl fließt schließlich in die Krüge.
So ist es auch bei uns: Ein Leben wird angelegt durch eine gute und gewissenhafte Erziehung. Wenn alles wächst und gedeiht, darf die Pflege dieses Lebens nicht vergessen werden. Genügend Licht und Luft und Wasser braucht es zum Gedeihen, dürre Äste werden entfernt, damit der Baum blühen kann. Dann wachsen die Früchte, unzählig viele kleine Früchte. Eine einzelne Olive ergibt fast kein Öl, die Fülle der Lebensfrüchte aber summiert sich zum flüssigen Gold.
Die ungezählten Gebete, die zahllosen kleinen Dienste, die guten Worte, die Zärtlichkeiten, die uneigennützigen Gaben, der Verzicht, der verant-wortungsvolle Umgang mit meinen Fähigkeiten, die Legion von Entscheidungen für die Liebe, gegen den Hass, für die Menschen, gegen die Sachen, für die Behutsamkeit, gegen die Gewalt. Olive für Olive gelangt so in die Ölpresse und gerinnt zur Ernte meines Lebens.
Klug ist, wer das früh erkennt und früh anfängt, selbst kleinste Lebensfrüchte zu schätzen und zu achten. Wer vorausschaut bemerkt am Horizont Christus, den Herrn und kann am Ende beruhigt sein, weil sein Krug gut mit goldenem Öl gefüllt ist.
Dompropst Dr. Michael Bär