Jesus hat sich zu Lebzeiten vor allem mit den Menschen umgeben, die an den Rand der Gesellschaft gedrückt wurden. Warum er genau das tat und damit auch heute noch aneckt, darüber spricht Dr. Bernhard Kirchgessner, Leiter des Exerzitien- und Bildungshauses Spectrum Kirche Passau, in seiner Predigt zum 24. Sonntag im kirchlichen Jahreskreis.
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Er muss gewaltig Anstoß erregt haben und den Pharisäern und Schriftgelehrten ganz ordentlich auf den Senkel gegangen sein, dieser Jesus aus Nazaret. Sein regelmäßiges Einkehren in den Häusern von Zöllnern und ortsbekannten Sünderinnen und Sündern, sein Mahlhalten mit dem Gesindel der Gesellschaft hat ihn in den Augen der Frommen in Verruf gebracht. Und so einer behauptet, im Auftrag Gottes zu sprechen und zu handeln? Das ist ja absurd! In der Tat ist das absurd; wäre er ein Mann der political correctness, so hätte er den herrschenden Regierenden und Religionsführern nach dem Munde geredet, wäre als VIP in deren Häusern zu Gast gewesen und auf ein ganz anderes Echo gestoßen. Aber so?! Warum war er nur so?
Jesus provoziert nicht um des Provozierens wegen, sondern mit seinem Einsatz für die Randständigen belegt er eindrucksvoll, wie unendlich wichtig, wie liebenswert ein jeder, wirklich ein jeder Mensch für Gott ist; so wertvoll, wie das verlorene Schaf im Gleichnis; der Hirte lässt sogar die 99, auf die er sich voll verlassen kann, alleine zurück, um den Ausbüchser einzufangen und zurückzubringen; so wertvoll und kostbar ist jeder Mensch, wie der Frau im Gleichnis die verlorene Drachme; materiell bedeutet die Drachme wenig, ideell jedoch viel.
Eltern mit ungleichen Kindern werden diese beiden Gleichnisse gut nachvoll-ziehen können. Das eine Kind ist das Pflegeleichte, Zielstrebige, Eifrige und tut sich mit allem leicht. Das andere Kind hingegen tut sich mit allem schwerer, scheint unmotiviert, träge, ja mitunter fürs Leben ungeeignet. Und doch liegen den Eltern beide Kinder gleichermaßen am Herzen, wobei sie wohl wissen, dass das schwierigere Kind mehr Zuwendung, Liebe und Nachsicht braucht. Doch beide sind nun mal ihre Kinder.
Beide Gleichnisse, und auch jenes vom sog. Barmherzigen Vater bzw. verlorenen Sohn, dass sich anschließt, endet mit der Aufforderung: Freut euch mit mir! Alle, die hören, wie sehr ein jeder Mensch Gott am Herzen liegt, alle, die die Kunde vernehmen, wie zugewandt Gott einem jeden Menschen ist, wie sehr er sich bemüht, dass ein jeder am Freudenmahl in seinem Reich teilnehmen kann, mögen sich beim Hören dieser Botschaft freuen, selbst die Pharisäer und Schriftgelehrten, selbst die religiösen Traditionalisten, die 150%igen, bei denen der 90%ige wenige und der 40%ige schon gar keine Chance hat.
Ganz ehrlich: Ist es nicht wohltuend heute vom Evangelisten Lukas zu hören, wie sehr sich diesbezüglich Gott von uns Menschen unterschiedet? Bei uns hat doch manch einer, vor allem der Schwierige, kaum eine Chance. Wir lieben den kommoden und flexiblen Nachbarn, den Sorgenkindern dieser Welt gehen wir doch eher aus dem Weg. Von Jesus lernen heißt, einen jeden Menschen so anzunehmen, wie er ist. Von Jesus lernen heißt daher, den vermeintlich Verlorenen nachzulaufen, sie einzufangen und zurückzuholen. Das kostet Mühe und Schweiß, das nervt zuweilen auch, aber es lohnt sich, denn niemand ist Gott gleichgültig. Jeder Mensch ist unendlich kostbar.
Bernhard Kirchgessner,
Leiter des Exerzitien- und Bildungshauses Spectrum Kirche Passau