
Normalerweise zieren Gemälde vergangener Bischöfe und Fürsten das prächtige Treppenhaus der Neuen Residenz in der Passauer Altstadt. Doch in diesen Tagen ist das altehrwürdige Gebäude verändert: Schon im Eingangsbereich blickt man unter dem Kreuz auf eine weiße Skulptur, die gleichermaßen abstrakt ist als auch zum Nachdenken anregt. Das Kunstwerk gehört zu einer Wanderausstellung, die von 16. September bis 31. Oktober 2022 im Museum am Dom in Passau ausgestellt ist. Die Künstlerin Katinka Schneweis gab ihr den Titel „Die Kraft der leisen Mächte“.
Dieser Titel ist der Künstlerin zugleich ein großes Anliegen. Sie stellt die menschliche Intuition in den Mittelpunkt ihrer Ausstellung: „Aus meiner Sicht leben wir in einer Umbruchszeit, ähnlich wie in der Renaissance, in der der Mensch seinen Verstand entdeckt hat. Man hat seitdem über Hunderte von Jahren gelernt, seinen Verstand zu pflegen und zu fördern. In meinen Augen ist es so zu einer Überbewertung des Verstandes gekommen“, so Katinka Schneweis. „Mein Anliegen ist es, die andere Seite, die intuitive Seite mehr zu pflegen und auch dafür zu sorgen, dass man lernt, darauf zu hören, sie zu unterscheiden und für sich zu nutzten.“ Der Künstlerin zufolge sind dies die leisen Kräfte, die im Inneren des Menschen verborgen seien. Jeder kenne sie, aber sie würden viel zu selten wahrgenommen. Dies habe sie zum Titel der Ausstellung gebracht.

Der Impuls zur Ausstellung ging von Katinka Schneweis selbst aus:
„Jeder Mensch trägt ureigenen Ängste, Sorgen, Nöte, Wünsche und Gefühle in sich. Viele davon sind allgemeingültig. Ich habe also bei mir angefangen und versucht, diese wahrzunehmen.”
So orientiert sich der Aufbau der Ausstellung am Innersten des Menschen, an der Intuition und einem für das menschliche Dasein grundlegenden Thema: Die künstlerische Reise in das Innere beginnt beim Haupttor, wo die Themen Trauer und Schmerz plastisch aufgegriffen werden. Über die verschiedenen Stockwerke spannt sie eine Klammer und endet im letzten Raum mit dem Werk „Falke“. Dieses Kunstwerk symbolisiert für die Künstlerin die Verbindung zwischen Flucht und Kampf und bildet so den Abschluss und das Ziel der Ausstellung: „Wenn ich vor einer Herausforderung stehe, wie Trauer oder Schmerz, kann ich mich dieser stellen oder kann fliehen. Der Falke ist ein Jagdtier. Er kämpft so und er kann fliegen – und deshalb auch fliehen. Das war die Klammer, die ich um die ganze Ausstellung versucht habe, herumzuspannen.“

Auch weitere Räume der Residenz sind in die Ausstellung einbezogen: In der ehemaligen fürstbischöflichen Bibliothek mit ihren barocken Buchbeständen im ersten Stock sind verschiedene abstrakte Skulpturen ausgestellt, die sich stimmig in den Raum einfügen. Auch thematisch fügen diese sich in den Raum ein, indem sie dessen Zweck und im Raum befindliches Material aufgreifen: Die abstrakten Figuren sind aus Papier angefertigt und erzählen wie die Bücher ihre eigenen Geschichten, nur eben dreidimensional.
Die Gestaltung der Ausstellung in diesen Räumlichkeiten sei jedoch eine Herausforderung gewesen, wie Alois Brunner, Direktor des Museums am Dom, erzählt: „Es ist nicht so einfach, in den Räumen der Residenz auszustellen, da diese Räume durch den lebendigen Stuck und die großformatigen Gemälde vorgeprägt sind – und dagegen muss man auch erst einmal ankommen. Was kann man „dagegen“, um sich in diesem vorgegebenen Ambiente zu positionieren?“ Daher sei es eine Möglichkeit, ins Abstrakte bzw. Ungegenständliche zu gehen. Wie gut die Räume mit der Kunst harmonieren merke man beispielsweise gleich im Treppenhaus. „Andererseits: die ausgewählten Farben stimmen mit den Räumen zusammen. Daher können sich die Arbeiten der Künstlerin wunderbar behaupten. Und deshalb gefällt mir auch der Titel ‘Die Kraft der leisen Mächte´.“

Nachdem man im zweiten Stock durch das majestätische Treppenhaus mit den beeindruckenden Fresken die Prunkräume der Neuen Residenz betreten hat, zieht eine abstrakte Skulptur aus weißem Gips den Blick auf sich. Mit ihren ausdrucksstarken Formen des Kunstwerks „am seidenen Faden“ nimmt die Künstlerin Bezug zu den Stuckarbeiten der Räume – und regt gleichzeitig an, darüber hinaus zu blicken. Es erzählt eine Geschichte von Freiheit. Auch die weiteren Gemälde, Skulpturen und Kunstobjekte aus Pelzen greifen auf unterschiedliche Art die Gegebenheiten der Räume auf und erzählen nach dem Selbstverständnis der Künstlerin in ihrem Gesamtkontext eine Geschichte von Wachstum und Entfaltung, die jeder Mensch in sich mitvollziehen und wiederfinden könne.
Nachdem wegen der Coronapandemie die Ausstellung zunächst nicht stattfinden konnte, freute sich Kunstreferent Alois Brunner besonders, dass sie nun – beim dritten Anlauf – gelungen ist. Katinka Schneweis ist im Bistum schon viele Jahre bekannt: Von 1994 – 1997 absolvierte die gebürtige Straubingerin eine Schreinerlehre in der Domschreinerei des Bischöfliches Ordinariats in Passau. Nach Ihrem Studium der Kunstpädagogik an der Ludwig-Maximilian-Universität München arbeitete sie als Kunsterzieherin, bis sie 2013 den Schritt in die Selbständigkeit als Freischaffende Künstlerin ging. Heute ist sie mit ihrem künstlerischen Anliegen, die Intuition als eine dem Vernunftgebrauch ebenbürtige Form des Denkens anzuerkennen, über Deutschland hinaus bekannt.
Die Wanderausstellung ist noch bis 31. Oktober 2022 in der Neuen Residenz im Museum am Dom zu sehen – von Montag bis Samstag jeweils von 10 – 16 Uhr am Residenzplatz 8, Passau.
Weitere Infos über die Künstlerin und ihre Werke finden Sie unter: www.katinka-schneweis.de

Text: Susanne Schmidt / pbp