
Rund 200 Interessierte versammeln sich zum Zoom-Abend „Denken in (der) Liebe“ über den Philosophen Ferdinand Ulrich. Bischof Stefan Oster referiert über das Hauptwerk seines Lehrers „Homo abyssus – Das Wagnis der Seinsfrage“.
Der große Jahrhunderttheologe Hans Urs von Balthasar bescheinigte Ferdinand Ulrich (1931−2020) um 1987, dass er ihn „als eine der stärksten, wenn nicht die stärkste philosophische Kraft im gegenwärtigen Deutschland halte“. Doch als Denker, der in besonderer Weise verstand, Theologie und Philosophie miteinander zu verbinden, gilt er unter Vertretern der beiden Fächer immer noch als Geheimtipp.
Ferdinand Ulrichs Werk sei zwar nicht leicht zu lesen, sagte Bischof Stefan Oster in seinem Vortrag, der am Mittwoch über eine öffentliche Zoom-Videokonferenz ausgestrahlt wurde, „mir sind aber auch ganz einfache Menschen begegnet, die sich in seine Schriften vertieft haben und viel daraus gewinnen konnten“. Auf Einladung der Katholischen Akademie Bayern in Zusammenarbeit mit dem Passauer Bildungshaus Spectrum Kirche stellte Bischof Oster rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Leben, Werk und Lehren des Philosophen vor, der ihm „verehrter Lehrer und väterlicher Freund“ war.
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Grundfrage von Ulrichs Hauptwerkes „Homo abyssus – Das Wagnis der Seinsfrage“ (1961) sei, so der Bischof: Was meinen wir, wenn wir vom „Sein“ sprechen? Als zentrale Stichpunkte nannte Oster das Dasein, das Denken, die Liebe und die Gabe. Der Mensch habe nach Ulrich, ausgehend von Thomas von Aquin, Anteil am „geschaffenen Sein“, das ihm restlos gegeben sei, damit er selbst wiederum einfach „sei“, das heißt, damit er „er selbst sei und werde“ – und damit sein „Sein“ zugleich empfängt, vollzieht und hervorbringt. Eindrucksvoll schilderte Oster, wie Ulrich weiter daraus folgerte, dass alles Sein im Grunde Gabe sei – geschenkt aus Liebe. „Das Denken ist versucht, immer etwas mit dem Sein zu machen, es zu verbegrifflichen, es zu instrumentalisieren, sich zum Herrn des Seins zu machen“, sagte er. Aber: „Ein Liebender denkt anders.“ Ulrich analysiere in genauester Arbeit am Begriff das Sein als Liebe – und mache damit zugleich deutlich, dass ein solches Denken immer schon Denken in der Liebe sei. So vollziehe Ulrich im „Homo abyssus“ nach, wie sich Schöpfung aus Liebe denken lasse – als „Verendlichungsbewegung“ des Seins als „Gleichnis der göttlichen Güte“. Die menschliche Vernunft, die den Menschen zum Menschen mache, müsse diese „Verendlichung“ mitvollziehen, um wirklich als menschliche Vernunft sie selbst zu sein und zu sich selbst zu kommen. Der Mensch sei dazu berufen, ein Liebender zu sein, das heißt, sich zu verschenken – in der Armut der Hingabe, die zugleich ein Reichtum des Sich-Verschenkens sei.
Ein schöner Wesenszug Ulrichs sei seine Treue im Kleinen gewesen, erzählte Oster von seiner langjährigen Begegnung mit dem Professor. Er habe seine Nähe zu den Dingen nicht durch ihr machtvolles Ergreifen bewiesen, sondern durch liebevolles Wahrnehmen, Zuhören und Annehmen. Sein Beispiel habe Osters Glaubensleben, seine Verkündigung und sein Verständnis von der Welt grundlegend beeinflusst. Ulrich sei für ihn nicht nur Lehrer des Glaubens gewesen, sagte Oster, er habe von ihm das meiste über Lieben, Hören und Leben gelernt und dadurch habe ihm Ulrich geholfen, tiefer er selbst zu werden. Durch Ulrich habe er eine Philosophie kennengelernt, „die Philosophie bleibt, aber ganz aus dem Herzen des Evangeliums lebt“. Es sei der in Jesus lebendige Gott, der in konsequenter Weise mit seinem Leben und Sterben gezeigt habe, was Lieben wirklich heißt: Das Gut des anderen um des anderen willen wollen. Am Kreuz habe Jesus sich selbst radikal verschenkt, und gerade dadurch die Herrlichkeit, das grenzenlose Zugewandtsein Gottes zu seinen Geschöpfen offenbart. Davon zutiefst inspiriert habe Ulrich als Lehrer nie gewollt, dass der Student einfach nur wiedergibt oder nachsagt, was der Professor sagt, so Bischof Oster. Er habe gewollt, dass seine Schüler aus seiner Lehre selber ins Denken und Sprechen kämen. Das sei das Geheimnis christlicher Liebe: „Die Liebe lässt frei und sagt: Sei! Sei du selbst!“
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Ferdinand Ulrich - Leben
Ferdinand Ulrich wurde am 23. Februar 1931 in Odrau (heute Odry, Tschechien) geboren. Er studierte Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-theologischen Hochschule Freising und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. 1955 wurde er in München zum Dr. phil. promoviert. 1959 habilitierte er sich in Philosophie an der Universität Salzburg. Er lehrte ab 1961 als außerordentlicher Professor an der Pädagogischen Hochschule Regensburg, die später in die Universität Regensburg integriert wurde. 1967 wurde er zum ordentlichen Professor für Philosophie ernannt. Ulrich lehrte zudem an der Universität Salzburg (ab 1963) und an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in Pullach (später München). Er war verheiratet und Vater von drei Kindern. Ulrich starb am 11. Februar 2020, wenige Tage vor seinem 89. Geburtstag.
Fotos/Video: Stefanie Hintermayr