Die Kultur des achtsamen Miteinanders
Wir leben und arbeiten mit Menschen zusammen und begegnen vielen Bekannten und Unbekannten täglich. Uns allen sind eine wertschätzende Kommunikation und verantwortungsvolles Handeln ein Anliegen, denn sie ermöglichen ein gutes Auskommen und gelingende Gemeinschaft.
Warum ist in der Präventionsarbeit eine „Kultur des achtsamen Miteinanders“ so wichtig?
Ein achtsames Miteinander ist die Grundlage dieser Arbeit. Aber auch außerhalb des Kontextes von Prävention soll diese Achtsamkeit unser Leben mehr und mehr bestimmen.
Achtsamkeit beginnt im Umgang mit sich selbst
Achtsamkeit beginnt damit, aufmerksamer mit sich selbst umzugehen:
- Ich nehme meine eigenen Gefühle wahr.
- Ich erkenne eigene Ideen. — Ich lasse auch Kritik an mir und meinem Handeln zu.
- Ich bemühe mich Transparenz im eigenen Handeln umsetzen.
- Ich wecke Kräfte, die mir helfen zu einer inneren Ausgeglichenheit zu gelangen.
Ziel für den Einzelnen ist es, sich selbst im bewussten und
reflektierten Wahrnehmen einzuüben. Eindrücke, die wir über die Sinne
erhalten, bewusst wahrnehmen und in das Denken einfließen lassen.
„Wenn wir achtsam sind, leben wir ganz in der Gegenwart, ganz im Hier und Jetzt, in jeder Handlung und Beziehung vollkommen zentriert bei uns selbst und bei den anderen”
Achtsamkeit richtet auch den Blick auf die Mitmenschen
Als Christ:innen glauben wir, dass jeder Mensch als Abbild Gottes geschaffen ist. Wenn wir uns selbst und unseren Mitmenschen begegnen, dann begegnen wir Gott.
- Ich begegne Anderen mit Würde und Respekt.
- Ich gehe ohne Denkmuster und Schubladen auf Andere zu, ich be- oder verurteile sie nicht.
- Meine Kommunikation in Worten und Gesten ist wertschätzend.
- Ich achte die Rechte meiner Mitmenschen, ihre Unterschiedlichkeit (Alter, Geschlecht und Herkunft, …) und ihre individuellen Bedürfnisse.
- Ich gehe feinfühlig und reflektiert mit Nähe und Distanz um.
- Ich gehe sensibel und achtsam mit der eigenen Macht um.
- Ich bin offen für Feedback und Kritik und betrachte das als Möglichkeit, das eigene Handeln zu hinterfragen und zu verbessern.
- Ich pflege eine Haltung des „Hinschauens“, der konstruktiven Einmischung und Auseinandersetzung.
Die Kultur des achtsamen Miteinanders besteht aus gemeinsamen Werten, Prinzipien und Regeln und ist getragen von Fachwissen und einer Feedbackkultur. Sie umfasst den Aufbau und die Weiterentwicklung folgender Prinzipien:
Beteiligung
Durch die Beteiligung (= Partizipation) von Kindern und Jugendlichen unterstreichen die Pfarreien/Einrichtungen die Achtung der Kinderrechte (siehe UN Kinderrechtskonvention[1]). Durch Mitbestimmung erleben insbesondere junge Menschen, dass sie selbstwirksam sind und dadurch Verantwortung für sich und andere übernehmen können.
Transparenz
Dazu gehört eine offene und nach außen klar kommunizierte und kontrollierbare Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt ebenso wie eine eindeutige Positionierung für Betroffene. Vernetzung mit anderen Institutionen ist hilfreich und macht das eigene Handeln nachvollziehbarer.
Fehlerkultur
Bei Fehlverhalten geht es statt der Schuldfrage um die Lösungssuche, im Sinne von „Fehler sind unvermeidbar, aber was lernen wir für die Zukunft daraus“. Hierbei ist offene und direkte Kommunikation von Bedeutung, um nachhaltige Lösungen zu finden. Regelmäßiges Feedback und konstruktive Kritik sind eine gute Möglichkeit, die eigene Arbeit zu hinterfragen und zu verbessern. Das schließt auch ein, dass schwerwiegendes Fehlverhalten vom Dienstvorgesetzten entsprechend sanktioniert werden muss.
Grenzachtender Umgang
„Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen gilt es aufmerksam zu sein und ihnen die Möglichkeit zu geben, Nähe und Distanz selber zu bestimmen, und zwar immer so, dass möglichst alles vermieden wird, was Anlass zu Fehlinterpretationen oder übler Nachrede geben könnte.[…] Das Wissen um die Möglichkeit des Missbrauchs körperlicher Nähe darf andererseits nicht dazu führen, dass ein notwendiger körperlicher Kontakt […] vermieden oder misstrauisch beobachtet wird.[…] Nähe ist wichtig und der Umgang soll achtsam, respektvoll und transparent erfolgen.“[2] „Darum ist es unerlässlich, dass Seelsorger und Seelsorgerinnen immer wieder ihre eigenen seelsorglichen Beziehungen auf das angemessene Maß von Nähe und Distanz hin überprüfen. Zu viel Nähe schränkt die eigenständige Reflexions- und Handlungsfähigkeit bei allen Beteiligten ein und kann schnell zu Grenzüberschreitungen und Übergriffigkeiten führen.“[3]
Konstruktiver Machtgebrauch
Konstruktiver Machtgebrauch heißt Macht so einzusetzen, dass sie einzig und allein handlungsbezogen der Sache dienlich sein muss. Deshalb bedarf Macht einer besonderen Verantwortung und Achtsamkeit und muss stets in ihrer Anwendung bewusst und bescheiden erfolgen. Nur so lassen sich sexuelle, emotionale, spirituelle und andere Formen von Machtmissbrauch vorbeugen.
[1] https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention
[2] ÖBK. Rahmenordnung für die katholische Kirche in Österreich, S. 11
[3] DBK. In der Seelsorge schlägt das Herz der Kirche, S. 47
„In der Nachfolge Jesu soll Macht als Dienst ausgeübt werden: nicht als Unterdrückung der Schwachen, sondern im Sinne einer solidarischen Stärkung der Ohnmächtigen (Mk 10,41 – 45; Mt 20,24 – 28; Lk 22,24 – 27). Mit dieser biblischen Orientierung wird nicht in Frage gestellt, dass zu Leitung und Organisation immer Macht nötig ist. Aber Machtverhältnisse werden mit einem qualitativen Vorbehalt versehen: Autoritäre Herrschaft muss wirksam unterbunden werden; Macht muss gerade in der Kirche im Dienst an den Machtlosen wirksam werden. So gewinnt sie Autorität und Legitimität.”
Zusammenfassend sei noch angemerkt: „Eine solche Kultur der Achtsamkeit zu entwickeln ist auch ein Prozess, der in die Tiefe führt. Er beginnt bei uns selbst und bringt uns mit unserem inneren Gespür in Kontakt. Als spiritueller Weg, der uns in Gott verwurzelt, eröffnet er die Chance, freimütig von innen heraus zu handeln zum Wohl der Anvertrauten. Um diesen Weg gehen zu können, braucht es Menschen, die mit anderen Menschen eine Gemeinschaft bilden, sich gegenseitig über die eigenen Wurzeln austauschen und gemeinsam ihre Kultur der Achtsamkeit weiterentwickeln. In diesem Prozess werden Grundfragen des Glaubens berührt. Daher sind Prävention insgesamt und besonders die Präventionsschulungen stets vom pastoralen Konzept und insbesondere vom Bereich der Katechese her zu denken. Sich mit Prävention zu beschäftigen leistet dann einen Beitrag zur Gemeindeentwicklung in der Pfarrei.“[1]
[1] Bistum Trier. Umsetzung eines Schutzkonzeptes in Pfarreien im Bistum Trier. S. 12