Was ist sexualisierte Gewalt?
Der Begriff „Sexualisierte Gewalt“ betont, dass es sich um einen Gewaltakt handelt, der in sexualisierter Form ausgedrückt wird. Somit wird sie körperlicher oder seelischer Gewalt nebengeordnet.
Sexualisierte Gewalt
Die Verwendung des Begriffes Gewalt deutet darauf hin, dass es sich bei einer Handlung nicht um einvernehmliche Geschehnisse zwischen Partnern auf Augenhöhe handelt, sondern um ein Verhalten, bei dem eine Person der anderen Person überlegen bzw. unterlegen ist. Dabei umfasst der Begriff sowohl psychische als auch physische Grenzüberschreitungen. Zwischen den beteiligten Personen herrscht ein Machtgefälle, das dazu führt, dass die unterlegene Person nicht in der Lage ist, sich der Situation zu entziehen und in Folge dessen eigene Wünsche und Interessen nicht verbalisieren und/oder durchsetzen kann.
Dieses Machtgefälle kann sich aus verschiedenen Konstellationen ergeben, z. B.
- großer Altersunterschied,
- soziale Stellung,
- körperliche Überlegenheit,
- Autoritätsstellung, usw. ….
Die Erweiterung des Begriffes in „sexualisierte Gewalt“ betont, dass bei den Taten Sexualität benutzt wird, um Gewalt auszuüben.[1]
[1] vgl. Bange, D. Sprechen und forschen über das Unsagbare, S. 29
Erscheinungsformen
Um der Bandbreite von sexualisierter Gewalt gerecht zu werden, wird diese in drei Bereiche eingeteilt. Alle diese Formen werden im Kontext von Prävention gegen sexualisierte Gewalt in den Blick genommen.
Grenzverletzungen
Grenzverletzungen sind die Missachtung einer ausbalancierten Nähe und Distanz anderen gegenüber. Sie sind die häufigste Form von sexualisierter Gewalt und treten in Worten, Gesten oder Taten auf. Ob sich eine Grenzüberschreitung ereignet hängt entscheidend davon ab, wie das Gegenüber dies persönlich erlebt und beurteilt.
Unser Zusammenleben und auch gesellschaftliche und persönliche Empfindungen im Hinblick auf Nähe und Distanz unterliegen dem Wandel der Zeit. In der Betrachtung wird man zu dem Schluss kommen, dass Umgangsformen, die vor zehn, zwanzig oder mehr Jahren als „normal“ galten, nun hinterfragt werden. Im Laufe der Zeit veränderte und verändert sich der Blick immer mehr von den eigenen Einschätzungen und Gefühlen hin zur Wahrung der persönlichen Grenzen des Gegenübers.
Im alltäglichen Miteinander sind Grenzverletzungen nicht gänzlich zu vermeiden. Umso wichtiger ist es diese entsprechend zu kommunizieren, um ein Bewusstsein zu schaffen, dass hier eine persönliche Grenze überschritten wurde und letztlich eine Verletzung stattgefunden hat. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich in einer Gruppe ein Klima der Grenzverletzungen etabliert.
„Dabei ist es sinnvoll, zwischen Grenzverletzungen zu differenzieren
- die unabsichtlich verübt werden,
- die aus fachlichen beziehungsweise persönlichen Unzulänglichkeiten und
- die aus einer „Kultur der Grenzverletzungen“
heraus entstehen.“[1]
Lassen sich unabsichtlich verübte Grenzverletzungen meist durch eine Entschuldigung korrigieren, sind die unter b) und c) genannten Grenzverletzungen, insbesondere, wenn der grenzverletzende Umgang im Kontext von Macht und/oder Sexualität geschieht, eine Anfrage an die Verantwortlichen, Maßnahmen, die den Schutz der Anvertrauten stärken, zu ergreifen.
Beispiele:
- nicht gewollte Umarmung
- unreflektierte Verwendung von Kosenamen wie z.B. „Schätzchen“
- geschlechtsspezifische Witze
- versehentliche unangenehme Berührung
- Hinterherpfeifen
- Sexuell zweideutige Kommentare
- Sexuell anzügliche Bemerkungen
- Beleidigende Kommentare über die Kleidung, das Aussehen oder das Privatleben
- Unangemessene Gespräche über das eigene Sexualleben
[1] Dörr, M. Nähe und Distanz, S. 22
Sexuelle Übergriffe
Der Übergang von Grenzverletzungen zu sexuellen Übergriffen ist fließend, aber dennoch kennzeichnen diese Form von sexualisierter Gewalt bestimmte Merkmale. Dazu gehört das Hinwegsetzen über gesellschaftliche Normen, institutionelle Regeln und fachliche Standards sowie individuelle Grenzen und verbale, nonverbale oder körperliche Widerstände der Betroffenen. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sie nicht (mehr) zufällig oder aus Versehen geschehen, sie sind bewusst, absichtlich, zielgerichtet und in der Regel häufiger und massiver. „Sexuelle Übergriffe durch ehrenamtliche und professionelle Betreuungspersonen sind stets auch ein Missbrauch von Vertrauen und Macht. Es ist keinesfalls angemessen, sie auf eine Nähe-Distanz-Problematik zu reduzieren.“[1]
Sexuelle Übergriffe gehören strategisch zur Vorbereitung einer Straftat. Der Prozess der Anbahnung wird in der Fachsprache als „Grooming“ bezeichnet. Meist umfasst er folgende Aspekte: Vertrauen gewinnen, Bevorzugung und Isolierung von Betroffenen, Erwirken von Geheimhaltung, Desensibilisierung von Betroffenen durch schrittweise Grenzüberschreitungen. Geschieht dies im virtuellen Raum, spricht man von Cybergrooming.
Beispiele:
- Massive oder wiederholte Berührungen der Brust oder Genitalien in Spiel und Sport
- Sexistisches Manipulieren von Fotos (Einfügen von Portraitaufnahmen auf nackte Körper)
- Sexistische Spiele, Mutproben, Aufnahmerituale (Flaschendrehen mit Entkleiden)
- Wiederholte Missachtung der professionellen Rolle (Aufforderung zu Zärtlichkeit)
- Generell E‑Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug
[1] Enders, U. Grenzen achten, S. 42
Strafrechtlich relevante Tatbestände
Das Strafgesetzbuch bezeichnet diese als „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ (§§ 174 – 184l StGB). Zu den bekanntesten zählen: Sexueller Missbrauch von Minderjährigen, Verbreitung, Erwerb und Besitz kinder- bzw. jugendpornographischer Inhalte, Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen, exhibitionistische Handlungen usw. Nicht nur Erwachsene, sondern bereits Jugendliche ab 14 Jahren können als Täter:innen zur Verantwortung gezogen werden.
Kirchliches Strafrecht
Auch im kirchlichen Strafrecht, dem Codex Iuris Canonici (CIC), werden der Missbrauch von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen durch Priester, Ordensleute und Laien als „delicta graviora“ (schwerwiegendere Straftaten) gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen eingestuft (vgl. can. 1398 CIC). Im Fall einer konkreten Anzeige wird die Anschuldigung zuerst von der Staatsanwaltschaft und anschließend auch von kirchlichen Ermittlern untersucht. Je nach Beweislage wird unter Umständen in beiden Rechtskreisen ein Strafverfahren mit abschließendem Urteilsspruch geführt. Kleriker können im kirchlichen Verfahren mit Amtsenthebung und anderen Strafen bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand bestraft werden. Laien droht eine Geldstrafe, die Versetzung in einen Dienstbereich ohne seelsorgerlichen Kontakt zu Minderjährigen (z.B. Versetzung in ein Archiv) oder die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Gemäß Nr. 11 der „Ordnung für den Umgang mit sexuellem Missbrauch“ der DBK (vgl. Amtsblatt Passau vom 30.01.2020) besteht für alle im kirchlichen Dienst Beschäftigten eine Meldepflicht dieser Straftaten. Can. 1371 § 6 CIC wiederum stellt die Unterlassung der Meldung nach Kenntnisnahme einer solchen Straftat unter Strafe.
Sexueller Missbrauch
Obwohl in der Präventionsarbeit mit den 3 obigen Begriffen gearbeitet wird, ist es sinnvoll, kurz den Begriff des sexuellen Missbrauchs zu erläutern: Der Begriff hat sich als Alltagsbegriff durchgesetzt und meint nicht nur strafbare sexuelle Handlungen, obgleich er der juristischen Terminologie im Strafgesetzbuch entspricht. Der Begriff steht für alle Formen sexueller Handlungen, die das Wohl und die Rechte eines anderen beeinträchtigen
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Bettina Sturm
Präventionsbeauftragte
Magdalena Lummer
Präventionsfachkraft
Marcus Gillhofer
Präventionsfachkraft